englishfrancais


. . .   d i e s m a l   m e i n e n   w i r   e s   e r n s t !
1    |     2    |     3    |     4    |     5    |     6   |     7    |     8    |     9    |     10    |     11    |     12    |     13    |     14


Ein kurzes Video als Vorgeschmack, aufgenommen teils am 11. Tag auf der "Cadí Moixeró" MTB Strecke und teils auf der Canigou, eine 2,780 m Spitze auf der Französischen Seite der Pyrenäen inkl. vereinzelte Bilder während der Tour und Mucke von Sean Hayes.

Oben könnt Ihr den Tourtag direkt auswählen, unten stehen Karten, Höhenprofile, GPS-Daten, Bilder und Erzählungen.

- Jeremy


    Dienstag, 6. September - Tag Eins
    69 km - 932 Höhenmeter

"Ich, für meinen Teil, reise nicht, um irgendwo hinzukommen, sondern um unterwegs zu sein; ich reise des Reisens willen." - Robert Louis Stevenson [1879]

elevation day 1

GPX-Datei Tag 1 herunterladen


   Nach ungefähr insgesamt neun Stunden ermüdender Zugfahrt mit nur gelegentlichen kurzen Nickerchen in unbequemen Lagen kamen wir in Biarritz an. Diese Stadt hatten wir auch vor vier Jahren besucht - meiner Ansicht nach hat sie sich kaum verändert. Sie ist noch immer der Anziehungspunkt reicher Leute, unter die sich junge Surfer mischen, die die meiste Zeit entweder auf den Felsen Sonnenbäder nehmen oder - ähnlich wie Seelöwen - in Lauerstellung auf ihren Brettern schwimmen und auf die perfekte Welle warten. Unsere allererste Tour führte uns nach Leclerc, einem riesigen französischen Supermarkt, um uns für Mittagessen, Abendbrot und Frühstück einzudecken. Dann starteten wir! Die ersten Pedaltritte unserer Tour auf gut gepflasterten Straßen von Biarritz nach St. Jean de Luz, weiter nach Hendaye und schließlich nach Hodarribia, der ersten Stadt in Spanien entlang der Atlantikküste. Es war wirklich ein tolles Gefühl, wieder in diesem Land zurück zu sein und sich bewusst zu werden, dass unsere Fahrt tatsächlich endlich begonnen hatte.

   Ein bisschen weiter - in Irún - genossen wir unser Mittagessen, bestehend aus Briekäse, Wurst, Baguette und einer billigen Fanta-Imitation. Nach einer Kaffeepause nahmen wir uns die Landkarten vor, um sie zu studieren. Natürlich hatte ich sie mir zu Hause kurz angesehen, aber es war ein einmaliges Gefühl, sie jetzt offiziell zu öffnen. Ein Hauch von Wirklichkeit lag auf den Karten und wir hatten den Eindruck, sie zum allerersten Mal zu lesen. Wir fanden heraus, dass unsere Anfangsstraße uns zurück nach Hendaye in Frankreich führen würde. Die ersten Schwierigkeiten tauchten auf. Der Weg überraschte uns ein wenig. Wir benötigten etwas Zeit, um uns allmählich an ihn zu gewöhnen, aber ganz plötzlich konnten wir unsere Räder nur noch auf einem nassen und steinigen steilen Weg bergauf schieben, um dann später festzustellen, dass wir nicht so weit auf unseren Karten gekommen waren, wie wir geglaubt hatten. Aber dennoch und wie durch eine Art mystischen Zauber waren wir auf dem richtigen Weg und passierten einen ersten "Hügel" in 315 m Höhe.

   Da auf der topographischen Karte unser Radweg als eine rot gestrichelte Linie dargestellt war, vermuteten wir schon ein unebenes und wildes Gelände. Und tatsächlich mussten wir wieder absteigen und die Räder bergan schieben. Wir entschieden uns, kurz vor Erreichen unseres Tagespensums von 75 km anzuhalten. Schließlich war es unser "erster" Tag. Außerdem hatten wir einen Platz zum Zelten gefunden, der so ganz nach unserem Geschmack war, mit einem netten kühlen Fluss an seiner rechten Seite und einem Schlafplatz im Gras, den wir mit vielen Nacktschnecken teilten.

   Heute Abend ist wieder die erste Nacht in unserem Zelt. Seit unserer Tour im letzten Jahr durch die Rocky Mountains in Nordamerika war es kein einziges Mal mehr benutzt worden. Am Tag zuvor - in Biarritz - hatten wir im Freien am Strand übernachtet. Wir haben uns noch kurz angeschaut, was uns am nächsten Tag erwarten würde: ein sehr nasser Weg. Es hatte tatsächlich den Anschein, dass wir direkt auf einen breiten Fluss in der Nähe unseres Zeltplatzes zusteuerten. Vermutungen und Annahmen halfen nicht weiter, der kommende Tag würde unsere Fragen klären, so dass wir dann einen konkreten Plan aufstellen könnten.

Abendessen: Tortellini mit Zucchini, Champignons und grünen Bohnen in einer Sahnesauce mit Käse.


    Mittwoch, 7. September - Tag Zwei
    63 km - 1.541 Höhenmeter

"Wenn ein Mann oder Junge von der Gemeinde vermisst wird, ist es relativ sicher daraus zu schließen, dass er vom Velocipede entführt worden ist." - New Bedford Mercury [1869]

elevation day 2

GPX-Datei Tag 2 herunterladen


   Der heutige Tag fing gut, wenn auch ein wenig spät an. Vielleicht steckte uns noch die Reisemüdigkeit in den Knochen. Obwohl wir ziemlich früh schlafen gegangen waren, brachen wir erst kurz vor 13.00h auf. Wahrscheinlich hatten wir auch nicht mehr die Routine im Zusammenpacken, und wir würden ein paar
Tage brauchen, um uns daran wieder zu gewöhnen. Das Frühstück war klasse, sofern man Pulver-Cappuccino mit nahezu 0% Kaffee als wunderbar bezeichnen kann; aber es wäre für einen König - oder zumindest für einen Ritter - angemessen gewesen.

   Unser Weg nach oben zum Fluss begann rutschig, und wir haben unsere Metall-Drahtesel mehr bergan geschoben als gefahren. Wir stellten fest, dass es eine unserer schwierigsten Aufgaben werden würde, uns an die in der Karte eingezeichneten Wege zu halten, nachdem wir schon zweimal vom befestigten Weg abgekommen ["off-road"] und gezwungen waren, unsere Räder - zwei Mann pro Rad - einen steilen, schlammigen Weg hinauf zu schieben und zu ziehen. Ich rutschte oft aus und verlor den Halt, während David den hinteren Teil des Fahrrads stabilisierte. Nachdem wir oben angekommen waren - zuvor mussten wir nochmals hinuntersteigen, um das andere Fahrrad zu holen - und auf einem etwas breiteren Weg waren, hofften wir verzweifelt auf einen Hinweis, dass der von uns gewählte Weg richtig war. Wir fanden zwar nicht genau solch ein Indiz, aber vielleicht sogar noch etwas viel besseres: Wir befanden uns auf der GR11, einer Straße für Wanderer, die von einer Seite Spaniens über die Pyrenäen zur anderen Seite unterwegs sind. Wenn es auch quasi unmenschlich gewesen wäre, für die gesamte Fahrradstrecke diesen Weg zu wählen, so kann man doch sicher sein - wenn man verloren geht - wieder auf die gute alte rot/weiß gestreifte Straße zu treffen.

   Wir kamen schließlich am nächsten Etappenziel - dem Dorf Etxalar - an, wo wir Lebensmittel kaufen und Mittag essen wollten. Leider hatten wir aber komplett die bekannte spanische traditionelle Trägheit - "Siesta" genannt - vergessen. Der kleine Lebensmittelladen hatte bis 17.00h geschlossen. Es war aber erst 14.00h, als wir im Dorf ankamen. Wir entschieden uns, in einem örtlichen Restaurant Mittag zu essen, zwei Menüs für €30. Das war in Ordnung, aber keineswegs preiswert und wir erhöhten mit diesem Luxus unser tägliches Ausgabelimit. Aber wie heißt es in bestimmten Maximen zu Biologie und Physik: keine Leistung ohne Energiezufuhr! Als wir einheimische Basken nach dem Weg nach Elizondo fragten, lösten wir damit ein unverständliches Tohuwabohu aus, welche Straße die beste sei und wie weit die Stadt entfernt wäre. Nach all ihren nützlichen Vorschlägen entschieden wir uns für einen Weg, der der in unserer Karte angegebenen Strecke ähnelte mit dem einzigen Unterschied, dass wir die breitere Straße statt schmalerer Wege nahmen.

   Wir erreichten einen Gipfel von 580 m, um dann in nur fünf Kilometern auf 380 m abzufallen, wo uns eine angenehme Überraschung und Gaumenfreude erwartete: ein Simply-Supermarkt - riesige Lebensmittelläden -, wo wir für nur €21 mehr als genug für Abendessen, Frühstück und Mittagessen einkauften. Ein paar Kilometer weiter erreichten wir auf einer schnellen überregionalen Straße Elizondo. Da wir dank Simply schon alles Benötigte hatten, beachteten wir das Stadtzentrum und seine hübschen Geschäfte nicht, fuhren nur vorbei und aus der Stadt heraus, fanden ein gemütliches Plätzchen und schlugen unser Lager am Fluss Baztan auf.

   Wie so oft waren leider der gesamte Bereich entlang dieses schönen Fleckchens Erde verschlossen, abgesperrt und im Privatbesitz. Da die einzige, zufällig vorbeikommende Person - eine betagte Dame - uns keinen nützlichen Ratschlag geben konnte, wo wir bleiben könnten, waren wir gezwungen, illegal - was Einbruch und Betreten angeht - zu kampieren, aber zumindest waren wir frisch gewaschen und satt. Bei unserem Versuch, unsere morgige Reiseroute genauer zu planen, entschlossen wir uns, am nächsten Tag mehr Kilometer zu absolvieren und ein bisschen früher zu starten. Der frühe Vogel fängt den Wurm - oder in unserem Fall die Nacktschnecke.

Abendessen: Kuskus mit Aubergine, grüne Paprika in Tomatensauce und einige Scheiben Chorizo-Wurst.


    Donnerstag, 8. September - Tag Drei
    72 km - 2.022 Höhenmeter

"... besser falsch als richtig zu liegen." - David Brüg [2011]

elevation day 3

GPX-Datei Tag 3 herunterladen


   Was für ein toller Radfahr-Tag! Ich will damit sagen, dass wir zwar streckenweise die Räder hochschieben mussten und manchmal nicht ganz von der gewählten Route überzeugt waren, aber der Tag verlief gut mit nur wenigen und kleinen Komplikationen, die schnell behoben waren. Wir erwachten und brachen mit der Sorge auf, nicht genügend Lebensmittel bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit bei uns zu haben. Also kauften wir in einem engen und bescheidenen Lebensmittelgeschäft im Dorf Errazu ein. Es gab keine große Auswahl, aber wir konnten eine Tagesration für nur €21 erstehen.

   Dann ging es für uns höher hinaus als zuvor. Selbstverständlich würden wir das schaffen! Wir befanden uns erst am Anfang unserer Tour und das Herz der Pyrenäen lag noch in weiter Ferne vor uns. Während des Anstiegs - wieder auf einem rutschigen und schlammigen Weg - trafen wir einen weiteren Radfahrer oder besser gesagt einen pyrenäischen Artgenossen. Er war seit 13 Tagen von der Mittelmeerküste auf derselben Route unterwegs, allerdings in der "richtigen" Richtung - also von Ost nach West. Er erwähnte, dass "mein Weg viel leichter ist, dass die Anweisungen auf der Karte für diese Richtung gegeben wurden." David und ich stellten die Richtung grundlegend auf den Kopf à la "Douglas-Wrong-Way"!

   Auf der Strecke spürte ich einen Stoß an meinem Vorderrad und bemerkte beim Herunterschauen, dass sich eine der Schrauben an meinem Bremssattel gelöst hatte. Das Gewinde war stark abgenutzt. So scheuchte ich mein Rad berg hoch, möglichst ohne Benutzung der Vorderbremsen. Das führte dazu, dass ich auf einem nassen Stein ausrutschte, hinfiel und mir meine rechte Handfläche an einem Stein aufschnitt. Es hat ziemlich geblutet, war aber nichts Ernstes. Als nach Ende des Anstiegs die Abfahrt begann, entschied ich mich, meine Hinterradbremsen zu benutzen. Da mir das nach kurzer Zeit aber zu riskant erschien, haben wir das Vorderrad abgebaut und ich habe mit einem Sekundenkleber die verflixte Schraube im Gewinde angeklebt. Wie immer auf Touren, musste diese Notreparatur
bis zum Ende unserer Reise halten.

   Nach unserem Anstieg auf ca. 850 m ging es danach wieder auf 550 m herunter. Wir kamen in Banca an, wo wir am Fluss zu Mittag aßen. Wir waren auf wundersame Weise über eine unsichtbare und ungenaue Grenze wieder auf französischen Boden zurückgekehrt. Ich weiß nicht warum, aber ich sehnte mich irgendwie danach, auf die spanische Seite zurückgekommen. Vielleicht genoss ich ganz einfach die Tatsache, dass ich dort zum Zurechtkommen das bisschen Spanisch, das ich gelernt und aufgeschnappt hatte, benutzen musste. Dadurch fühlte ich mich als Fremder, als etwas Besonderes und als willkommenen Besucher.

   Eine Einheimische in Banca half uns beim Auffüllen unseres Wassers und teilte mit uns die angenehme Aussicht, dass das gute Wetter noch bis zum nächsten Mittwoch anhalten sollte. Wir winkten zum Abschied und weiter ging's auf einem geteerten Weg auf eine neue Rekordhöhe von ca. 1.250 m. Wir waren zurück in Spanien ... ¡arriba! Kurz hinter der Grenze und über den "Col de Lindus" oder "Linxus" oder wie immer der Name auf Baskisch buchstabiert wird, fuhren wir in die Pilgermetropole namens Roncesvalles. Hier legten viele Wanderer eine Pause ein, um ein bis zwei Bier oder auch eins zuviel zu trinken. Die Kirche mit dem Namen "Iglesia de Santiago" und ein Schild mit der Aufschrift "Santiago de Compostello 470 km" zeigte die Richtung nach Portugal über die Jakobs-Route. Roncevalles war in der Tat beliebt und touristisch, aber man muss sich nach dem Grund dafür fragen. In der Stadt findet man eine Kirche, einige Restaurants und Cafés, aber keine einzige Möglichkeit, um elementare Notwendigkeiten zu kaufen. Daher war sie auch kein "wahrer" Durchgang für "echte" Reisende. Ich hatte keine Ahnung, warum die St. James-Pilgerer hierhin kamen und fragte mich, ob Roncesvalles nicht zu hoch gelobt wurde. Aber die GR11 war ganz in der Nähe und wir hatten uns für diesen Weg entschieden; oder besser gesagt: es war die auf unserer Karte eingezeichnete Strecke.

   David und ich waren beide erstaunt, dass wir Roncevalles in so kurzer Zeit erreicht hatten. Wir hatten geglaubt, hier erst am nächsten Tag anzukommen. David kommentierte dies direkt wie folgt: "Ich habe einen Fehler in der Berechnung gemacht, aber es ist besser falsch" - und dann nach kurzem Nachdenken: "als richtig zu liegen!". Wir riskierten es weiterhin, teilweise die GR11 zu nehmen, teilweise auf gepflasterten Straßen und letztendlich über trockenere Kiesstraßen zu radeln, die denen auf der "Great Divide"-Tour durch Nordamerika ähnelten. Unsere Reifen liebten dieses Gelände. Streich' das, ICH liebe dieses Gelände. Obwohl die energiespendende Wirkung unserer Plätzchenpause nachließ, kamen wir gut voran. Müde beendeten wir letztendlich unser heutiges und täglich wiederkehrendes Abenteuer am Stausee Embalse de Erabia Erabiako Uharka Urtegia ein Ende. Wow! Was für ein Name! Ein Name, den David mir buchstabieren musste. Der See E.E.E.U.U. ist ein malerisches, von Pinien umgebendes Plätzchen, obwohl das Wasser mir zu warm und auch nicht sauber war. Der See, matschig und nach Kuhmist stinkend, verbreitete noch immer Beschaulichkeit und Naturbelassenheit, wenn man die riesige Staumauer, die in der Ferne zu sehen war, übersah.

   Ein Förster kam bei uns vorbei und informierte uns höflich, dass das Zelten an diesem Ort in keinster Weise gestattet sei und es einige Meilen weiter kostenlose Zeltplätze gäbe. Wir baten ihn inständig, über Nacht dort bleiben zu dürfen, gaben zu nach einem Anstieg von 2.022 m müde zu sein und versprachen, alles sauber zu hinterlassen. Glücklicherweise erlaubte er uns, eine Nacht zu bleiben. Wir waren erleichtert, nicht alles wieder einpacken und uns erneut auf die Sattel schwingen zu müssen. Nach dem Abendessen studierten wir die Karten, stellten fest, dass der nächste Tag ziemlich einfach werden würde und David versicherte mir, dass wir an einem großartigen Ort zu Mittag äßen.

Abendessen: Sardellen, Muscheln, Tunfisch mit Zucchini und Oliven in einer Sahnesauce mit Brownies als Nachtisch.


    Freitag, 9. September - Tag Vier
    84 km - 2.050 Höhenmeter

"In welche Richtung fließt der Fluss?" fragte ich. "Mein Junge, wo steht die Sonne?" erwiderte der französische Militäroffizier. [2006]

elevation day 4

GPX-Datei Tag 4 herunterladen


   Nach einer guten Nacht - allerdings etwas in Schräglage, die mich zum Stillliegen zwang, um David nicht in an unserer Zeltwand zu zerquetschen - umfuhren wir den ganzen, gestern erwähnten See mit dem langen Namen. Die Straßen waren stark verschmutzt, aber angenehm zu fahren. Wir erreichten problemlos eine neue Rekordhöhe von 1.350 m, von der es dann bergab ins Dorf Isaba ab, wo wir zu Mittag aßen. In diesem Dorf gab es einen kleinen, aber gut sortierten Supermarkt, wo wir gekühlte Joghurtdrinks und Kekse kauften. Wir hatten aber entschieden, unsere Tagesrationen erst später in der nächsten Stadt Zuriza aufzufüllen. Was für ein Fehler!

   Da Zuriza ein bisschen zu touristisch für unseren Geschmack und unser Verhandlungsgeschick - die Preise waren hier sicherlich höher - war, entschlossen wir uns weiter nach Anso zu radeln, der nächsten Anlaufstelle auf unserem Programm. In Anso wurde gerade Siesta gehalten, und alle Geschäfte waren bis 17.00h geschlossen. Nach ein paar Plätzchen, Kaffee und einer Fanta mussten wir weiter nach Echo - 15 km entfernt -, wo wir glaubten, endlich einen Laden zu finden. Von wegen! In der ganzen Stadt fand gerade das 4 Tage dauernde Jahresfest statt und alles war zu. Unsere letzte Hoffnung und Möglichkeit ruhte auf Urdués. Beim Versuch, dieses nur 7 km entfernte Dorf anhand unserer Karte zu erreichen, fanden wir es nicht nur ziemlich schnell mühselig, den Weg zu finden, sondern ihn auch einzuschlagen. Nach einigen misslungenen Versuchen drehten wir um und wählten für die gesamte Strecke den geteerten Weg, der - obwohl er länger war - aber letztlich zum Erfolg führte. Unsere Suche nach Lebensmitteln blieb jedoch weiterhin eine Illusion. Obwohl es laut unserem Reiseführer einen kleinen Lebensmittelladen in Urdués geben sollte,
fanden wir absolut nichts. All dies war eine Lehrstunde für uns: Man muss Gelegenheiten beim Schopfe packen, sobald sie sich bieten anstatt auf besseres zu hoffen und dann gar nichts zu bekommen.

   Die größte Moral aus dieser Geschichte half uns in der aktuellen Situation nicht weiter, aber es gab dennoch etwas Positives: wir hatten noch Reste. Raus aus Urdués fanden wir unseren Weg und gleichzeitig eine kleine Quelle, aus der Wasser tröpfelte. Sie schien aus dem Nichts oder wie von magischer Hand dem Boden zu entspringen und hinterließ kleine Seen frischen, sauberen Wassers in den Felsen. Wir benutzten unseren Kochtopf, um uns zu duschen und unsere Körper von Schweiß und Dreck zu befreien. Bei der Zubereitung des Abendessens stellten wir auch das Frühstück für den nächsten Tag zusammen, das aus Pulver-Cappuccino, Brot und Keksen bestehen würde. Wir hofften inständig, am nächsten Tag frühmorgens endlich Lebensmittel zu finden.

   Es gab an diesem Tag einen erheblichen Unterschied zwischen den zurückgelegten Entfernungen, die von unserem Fahrradcomputer und dem GPS angezeigt wurden. Laut Fahrradcomputer waren es 111,5 km, während das GPS nur 84,4 km zeigte. Normalerweise vertraue ich meinem Bordinstrument mehr als dem eingeschalteten Satellitensystem, denn der Fahrradcomputer registriert jede Radumdrehung, so dass sein ausgewiesenes Ergebnis weitaus mehr auf Physik basiert. Heute jedoch glaubte ich, dass das GPS richtig lag und bezweifelte, dass wir 112 km absolviert hatten. Zumindest, wenn es nach meinen Beinen ging.

Abendessen: Möhren, restliche Bohnen, über gebliebene Aubergine, Rest Nudeln und restlicher Kuskus mit letztem baskischen Käse.


    Samstag, 10. September - Tag Fünf
    79 km - 1.283 Höhenmeter

"Keiner entdeckt neue Länder, ohne sich bewusst zu machen, den Blick auf die Küste für sehr lange Zeit zu verlieren." - André Gide [1925]

elevation day 5

GPX-Datei Tag 5 herunterladen


   Dank Davids fröhlichem und frühem Weckruf standen wir um 8.00h auf und knabberten an unseren ziemlich mageren Portionen zum Frühstück. Danach gönnte ICH mir eine weitere kalte Dusche an den Seen. überraschenderweise weigerte sich David heute, dasselbe zu tun, denn normalerweise bin ich derjenige, der sich gegen den "Kälteschock" des Bergwassers sträubt.
Unsere Route verlief heute Morgen über einen Kies-Stein-Weg, der schnell in ein unebeneres Gelände überging, so dass wir gezwungen waren, von den Rädern abzusteigen und sie zu schieben. Manchmal war es uns gegönnt, drei Minuten auf den Rädern zu fahren, bevor wir dann erneut absteigen mussten. Der Weg nach unten war schlechter; eine einzige Fahrspur aus Steinstufen - zu steil für Mountainbikes. Ich hätte gern erörtert, ob irgendjemand - selbst der Weltmeister in Downhill - diese Etappe geschafft hätte.

   Wir schafften es, heil unten in Aragüés del Puerto anzukommen. Hier fanden wir einen Lebensmittelladen, der gerade vor unseren Augen öffnete, als wir um 11.00h eintrafen. Wir kauften dort ein "bis zum Umfallen". Das war das Kontrastprogramm zur gestrigen bösen Vorahnung der Unterversorgung. Man konnte uns gut mit Leuten aus der älteren, traumatisierten Nachkriegsgeneration vergleichen, die "für den Fall der Fälle" Konservendosen mit Lebensmitteln auf Vorrat lagern. Beim Verlassen des Ladens kam gerade noch der Brotmann in seinem Brotwagen vorbei, so dass wir uns auch hier reichlich eindeckten. Wir hatten alles, was wir brauchten und unsere Anspannung ließ nach.

   Von dort aus fuhren wir auf Asphaltstraßen nach Asìa, einer anderen herrlichen, altertümlichen Stadt mit Steinhäusern, engen Durchfahrtsstraßen und Kopfsteinpflaster, in der hauptsächlich Senioren wohnten. Das Mittagessen nahmen wir heute in Borao in der malerischen Landschaft der pyrenäischen Bergdörfer ein. Dank der "fuentes", der Quellbrunnen, konnten wir fast überall unsere Wasservorräte auffüllen. Hier möchte ich anmerken, dass es diese Einrichtung leider nicht in den
sogenannten modernen Gesellschaften gibt. Wir durchquerten Aratorés und radelten über gepflasterte Straßen nach Castiello de Jaca. Da sich die Benzinreserve unseres Kochers merkwürdigerweise schnell verringert hatte, entschieden wir uns, unsere Route zu ändern und über die größere Stadt Jaca weiterzufahren, die ca. 7 km südlich von C.d.Jaca lag.

   Als wir in die Stadt hereinfuhren, war der Anblick erdrückend: weitläufige Militäranlagen, größere nebeneinander stehende Gebäude, jede Menge Geschäfte, Ampeln; einen Anblick, den wir seit Biarritz nicht mehr gehabt hatten. Sofort erlitten wir - die wie Höhlenmenschen gelebt und primitiv in der Wildnis gelebt hatten - einen kleinen Kulturschock. Die unebenen Kopfsteinpflaster verschwanden und jüngere Leute saßen in den Cafés. Als wir unser Benzin auffüllten, kam eine gut gekleidete Dame aus dem Tankstellenladen, die in der einen Hand ein in Plastik verpacktes Sandwich und in der anderen Hand eine eisgekühlte Vittel-Miniflasche hielt. Es war sicherlich nicht lange - tatsächlich nur 5 Tage - her, dass wir solche Zivilisation erlebt hatten. Scheinbar haben aber unsere bei anderen Touren gesammelten Erfahrungen unsere Fähigkeit verbessert, problemloser in natürlichere Lebensräume zurückzukehren, so dass es uns vollkommen fremd war, unsere Räder anhalten zu müssen, wenn die Ampel von grün auf rot sprang. Jaca war tatsächlich eine Metropole, für uns auf jeden Fall. Wir füllten unsere Kocherflasche für 85 Cent mit Oktan 98 auf und machten uns auf den Weg nach Mercadona, einer billigen Supermarktkette, deren Ohrwurm-Melodie David für Euch singen könnte. Ich werde es aber nicht tun, denn diese Werbemelodie hat nicht nur bei uns, sondern auch bei jenen eine Gehirnwäsche durchgeführt, die beim Verlassen dieser Lebensmittel-Schau noch ganz berauscht waren von allen Kaufangeboten, mit denen sie konfrontiert worden waren. Sie sangen oder pfiffen die Werbehymne laut, ohne sie zu kennen.

   David und ich betraten das Lebensmittelparadies und verließen es k.o. nach einer geschlagenen Stunde. Wir hatten genug von Jaca; es war Zeit, in die heimeligen Pyrenäen und die winzigen Bergdörfer zurückzukehren, wo das Leben weniger abwechslungsreich, aber dafür "leichter verdaulich" zu sein schien. Unser Glück, dass wir nicht dieselbe Straße zurück Richtung Norden nehmen brauchen. Wir konnten stattdessen in nordöstliche Richtung über Senegüé auf einer überregionalen Straße fahren, entlang derer eine ganz neue Autobahnstraße gebaut worden war. Nach unserer Ankunft waren wir mit einem Schlag zurück im Mikrokosmos des Landlebens und füllten unsere Wasservorräte in der Nähe einer alten Frau auf, die an einem Brunnen hinter der Steinkirchen ihre Herdplatte reinigte.

   Es wurde Zeit, ein Plätzchen für die Nacht zu finden. Es musste aber über fließendes Wasser in irgendeiner Art verfügen, da wir sowohl einige Kleidungsstücke als auch uns dringend waschen mussten. Nachdem wir lange in der Gegend herumgeirrt waren, stolperten wir plötzlich über die ideale Stelle. Mit einem großen sauberen Fluss, der tiefer war als alle andere Flüsse zuvor, einschließlich Picknicktischen und Toiletten bot dieses örtchen weit mehr, als wir uns erhofft hatten. Obwohl ich daran zweifelte, dass sich einer von uns beiden - David oder ich - in die klaustrophobischen und stinkenden Häuschen wagen würden. Ich fragte David und ja, er stimmte mir zu: "Ich würde noch nicht einmal im Traum daran denken!" Wenn man es gewohnt ist, sein Geschäft draußen zu verrichten, gewöhnt man sich daran und mag es; letztendlich bevorzugt man es sogar.

   Nachdem wir unsere Kleidung gewaschen, das Zelt aufgestellt und darin für die Nacht aufgeräumt hatten, stellten wir sicher, dass uns niemand sehen konnte, während wir uns selber im Fluss reinigten. Während ich das Abendessen zubereitete, reparierte David einen Schlauch, den er tagsüber gewechselt hatte, da ein großer Dorn in seine Reifenkarkasse eingedrungen war und so den zweiten Platten auf unserer Tour verursacht hatte. Einschließlich dieses Tags lagen wir noch etwas in unserem Zeitplan zurück, hofften aber, dieses ab jetzt aufzuholen. Schließlich war am nächsten Tag Sonntag und wir hatten genügend Lebensmittel für zwei Tage eingekauft. Also würden wir weniger Zeit zum Einkaufen verbringen und hätten folglich mehr Zeit zum Radfahren.

Abendessen: Käsewürstchen, grüne Bohnen und Kartoffelpüree mit Käse, abgerundet mit einem guten Wein ... Zitronenfanta.


    Samstag, 11. September - Tag Sechs
    65 km - 1.321 Höhenmeter

"Wen kümmert, was hinter uns liegt!" - David Brüg [2011]

elevation day 6

GPX-Datei Tag 6 herunterladen


   Unser sechster Tag entwickelte sich zu einem der härtesten, aber auch ruhmreichsten Tage. Unser Frühstück war ein einziges Fest - es gab sogar Milch und Cornflakes. Noch ein morgendliches Bad im Fluss und schon waren wir weg. Meine Schuhe hatten an einigen weichen Stellen meiner Füße gedrückt, so dass diese gerötet waren und beim Anstieg schmerzten. Da uns dieser Tag einige herausfordernde Anstiege bescheren würde, verband ich diese kritischen Stellen.

   In Olivàn füllten wir unsere Wasservorräte auf und tauchten dann nahe der Steinkirche in die Wildnis ab. Unser Weg war teuflisch und extrem felsig. Olivàn hatte ungefähr 900 m hoch gelegen. Nachdem wir auf diesen steinigen Pfaden weitere 880 m berghoch gefahren waren, hatten wir unsere bisher maximale Höhe von 1.780 m erreicht. Von hier oben konnte man weit über die bewaldeten Berghänge nach unten sehen und weiter oben einige baumlose Bergspitzen erkennen. Weiter entfernt konnten wir einige höhere Berggipfel (ca. 2.500 m hoch) ausmachen. Das Mittagessen in diesen Höhen war faszinierend, aber beeinträchtigt durch die Ungewissheit über unseren Standort. Unsere Karte hatte uns leider zu wenige Informationen zum genauen Weg gegeben. Natürlich lässt man in solchen Augenblicken, wenn man gerade seinen Kiwi-Nachtisch als Vitaminbombe auslöffelt, seine Gedanken schweifen. Der Blick wandert nach unten auf die weit entfernten Wege und man fragt sich, ob man den restlichen Tag - oft vielleicht sogar noch länger - mit Wege-Probieren verbringen würde, um wieder auf die richtige Strecke zurückzufinden.

   Wir brauchten einen Hinweis. Irgendetwas, das uns absolute Klarheit verlieh und uns bestätigen würde "He Leute! Ihr da drüben, ihr seid auf dem richtigen Weg!" Es gab nur ganz wenige Leute. Wir hatten beim Anstieg zwei Biker überholt, aber wir hatten geglaubt, dass alles gut sei und kein Grund zur Sorge bestünde. Wie auch immer, wir mussten uns entscheiden und fuhren bergab. Wir verließen Peña Oturia ins Ungewisse und rätselten an der Kreuzung,
welchen Weg wir einschlagen sollten. Als letztendlich die Berggipfel in unserem Blickfeld mit denen auf unserer Karte übereinstimmten, fiel uns ein Stein vom Herzen. Es tauchte dann noch eine Serpentine auf, die genauso auf unserer Karte eingezeichnet war. Als wenn uns das alles noch nicht überzeugt hätte, fuhren wir in ein Dorf, genau wie auf der Karte vorgegeben. Das war unser Hinweis und jetzt wussten wir ganz sicher, wo wir waren.

   Es gab weder eine Tafel noch ein Schild mit dem Namen dieses verlassenen und fast ausgestorbenen Dorfes Sasa. Der Ort erinnerte an eine Geisterstadt. Genau die Örtlichkeit, die man sich zum Drehen eines Horrorfilms wünscht oder - wie wir überlegten - der perfekte Ort für ein Paintball-Spiel. Von nun an hob sich unsere Stimmung und die beladenen Taschen, die wir trugen, schienen leichter zu werden. Nebenbei gesagt, es ist nicht so tragisch, sich bergauf zu verfahren, da man meistens weiß, dass man sowieso berghoch fahren muß. Verfährt man sich aber bergab, kann es schlimmstenfalls bedeuten, dass man umkehren und den ganzen Berg nochmals hochfahren muss. Außerdem kann die Schwierigkeit, in felsigem Gelände mit dem Gewicht des Fahrradhinterteils Rad zu fahren, wie folgt erklärt werden: 1/4 Tretbewegung mit Widerstand, die einen vorwärts bringt, gefolgt von einem 1/4 Leerlauf, der dich nicht von der Stelle bringt und dich zwingt, dein Gleichgewicht wiederzufinden, wieder Tritt fassen, dann wieder nichts. So verläuft die Fahrt im niedrigsten Gang und das Radfahren wird unangenehm, besonders für den hinteren Fahrer. Es muss nicht extra erwähnt werden, dass das "Tanzen" oder Stehen in den Pedalen ungeeignet ist, da das Gepäck hinten nur beim Fahren im Sitzen im Gleichgewicht gehalten werden kann. Bei Anstiegen über 13% ist es nötig, etwas Gewicht nach vorne zu verlagern. Anderenfalls hätte der Vorderreifen keinen Halt und würde nach rechts und links - je nachdem wo der Widerstand geringer wäre - fahren.



   Nach dem eindeutigen Beweis unseres genauen Standortes in Sasa war es leicht, die Wege und Straßen nach Fiscal zurück auf 800 m Höhe nach unten zu rollen oder besser gesagt, zu stolpern. Die Pyrenäen sind ein einziges "rauf und runter" mit nur wenigen ebenen Strecken. Auf einem kostenpflichtigen Campingplatz in Fiscal ließen wir uns einen Kaffee und Fanta schmecken und besprachen unsere Route für den nächsten Tag. Wir mussten zu einer Stadt mit einem Supermarkt kommen, um dort für die nächsten 1-2 Tage einzukaufen. Also überquerten wir den Rio Ara und fuhren nach Sarvisé, wo wir ein hübsches Plätzchen mit Tischen, Wiese und einem Fluss nahe der Straße vorfanden.

   Gerade, als wir unser Zelt aufgestellt hatten, hielt ein Geländewagen der Guarda Civil und zwei Beamte stiegen aus. Sie erklärten uns, dass Zelten hier verboten war und wir irgendwo einen kostenpflichtigen Zeltplatz aufsuchen müssten. Als hätten wir das nicht gewusst [ aber zumindest stellten wir uns unwissend ]!. Sie prüften unsere Reisepässe - es hatte den Anschein, als wüssten sie nicht, was sie mit den Dokumenten anfangen sollten und notierten etwas auf einem Stück Papier. Als sie abfuhren, forderten sie uns pflichtbewußt und etwas schlitzohrig auf, das Zelt für 15 Minuten abzubauen. Wir taten es und warteten bis zur Abenddämmerung, um es dann wieder aufzubauen.

   Während ich dieses schreibe, muss ich ständig bei jedem vorbeifahrenden Fahrzeug meine Lampe ein- und ausschalten, um keine weitere Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Mal sehen, ob uns die Guarda Civil nicht heute Abend oder vielleicht morgen früh besucht. Dann müssen wir sicherlich aufs Revier kommen und eine saftige Geldstrafe zahlen. Regeln und Systeme behindern oft den Lebensstil von Reisenden, denn sie wurden nicht aufgestellt, um unseren Philosophien zu entsprechen. Aber mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, auf kleinere strafbare Handlungen zurückzugreifen, um die wohl verdiente Nachtruhe zu finden.

Abendessen: Brokkoli, Erbsen und grüne Paprika mit Käse und Spinat-Tortellini in Sahnesauce und einem Stück Käse.


    Montag, 12. September - Tag Sieben
    84 km - 2.134 Höhenmeter

"Beim Essen saßen sie im Schnee, und jeder aß aus einem Aluminiumbecher, den sie 'Pfännchen' nannten und in den alles gleichzeitig ausgeschenkt wurde. Als Besteck hatte jeder einen Löffel, ein Messer - und seine Finger." - Alfred Lansing, 635 Tage im Eis [1959]

elevation day 7

GPX-Datei Tag 7 herunterladen


   
Obwohl ich müde und nicht in der geistigen Verfassung zum Schreiben war, werde ich meine Pflicht erfüllen, um diesen Tag abzuhaken und zu beenden. An diesem Morgen, gerade als wir losfahren wollten, wurden wir erneut von der Guardia Civil besucht. Er fragte uns verärgert, ob wir die Nacht dort verbracht hatten. Es war der gleiche Beamte wie am Vortag; sein Tonfall war streng und ließ aufkommende Probleme erahnen. Wir beide antworteten dumm mit "Nein", obwohl sowohl der Beamte als auch wir wussten, dass das nicht stimmte. Ich hielt es aber für die richtige Antwort. Ich verlegte mich darauf, den blöden Touristen zu spielen, als der Beamte - Professionalität und Autorität heuchelnd - wieder meinen Reisepass nahm, ihn gründlich überprüfte und zu seinem Wagen zurückging. Er rief jemanden über sein Handy an und ich dachte: "So ein Mist! Jetzt sind wir reif.". Ich entnahm aber dann dem Gespräch, dass er seinen Sohn und niemanden von der Polizeiwache angerufen hatte. Am Ende sagten sie nichts mehr und verließen uns, nachdem sie sich förmlich - ohne jegliches Grinsen oder Lächeln - verabschiedeten hatten. Wir aber waren froh, einer Geldstrafe und weiterem Ärger entgangen zu sein [ Anmerkung: siehe Brief, den ich zwei Monate später nach der Rückkehr zu Hause erhielt ]

   Wir fuhren vier Kilometer nördlich nach Broto, einer etwas größeren Gemeinde, in der sich daher auch mehrere kleinere Supermärkte, Bäckereien und Cafes befanden. Um auf Nummer sicher zu gehen, kauften wir hier genug für die nächsten zwei ganzen Tage ein. Wir fuhren zurück nach Servisé und dann östlich Richtung Fanlo, einem kleinen hübschen Dorf. Unterwegs machten wir Witze darüber, nochmals unsere Freunde von der Guardia Civil zu treffen.
Wir gelangten auf steinige Wege und der Anstieg begann. Ich muss sagen, dass ich unsere Tagesfahrt total falsch kalkuliert hatte, nachdem ich am Vorabend das falsche Höhenprofil verwendet hatte. Sehr zu meiner Überraschung überschritten wir 1.500 m, während ich als max. Höhe ungefähr 1.200 m festgesetzt hatte.

   Die Straße war schwierig und David war an diesem Morgen nicht in Bestform, was sich später auch auf mich übertrug. Die Aussicht auf die riesigen Berge im Hintergrund und besonders der Blick, auf das, was wir schon hinter uns gebracht hatten, waren fantastisch. Wir fuhren bergab und dachten dabei an die Biker-Kollegen, die diesen Weg in der "richtigen" Richtung befuhren und berghoch radeln mussten. Wir entschieden uns, eine Pause in Escalona einzulegen, hielten aber doch ein paar Kilometer vorher an, nachdem wir einen großen Fluss mit beträchtlicher Strömung entdeckt hatten. Er füllte große Seen - umgeben von Bäumen - zwischen den Felsen und Felsbrocken, durch die er sich hindurchschlängelte ... einfach perfekt! Es war ein echtes Vergnügen, dort zu schwimmen und sich nach unserem Essen in den grünen Lagunen abzukühlen. In Escalona genossen wir Kaffee und Fanta in einem Café für nur €3. Man kann hier wirklich nicht über die Preise meckern. Wir können hier meistens für weniger als €20 pro Tag für zwei Personen einkaufen. Auf Escalona folgte Lapuña, dann wieder steinige Wege, die immer weiter in die Höhe führten.

   Die verflixten Fliegen nervten uns in ungefähr 1.300 m Höhe und flogen beharrlich immer weiter geradewegs um unsere Nasen, Augen, Mund und Ohren. Da sich unsere Geschwindigkeit [auf ca. 8 km/h] aufgrund des steilen Anstiegs verringert hatte, konnten wir nicht anderes tun, um sie zu vertreiben, als wütend mit der Hand in der Luft herumzufuchteln
oder sie beim Einatmen wegzupusten. Sie gehören zu den Dingen, die ich am meisten hasse. Das anhaltende Gesumme um den Kopf macht einen verrückt, während man höchst konzentriert und stark schwitzend kräftig in die Pedale tritt. Noch schlimmer ist es, wenn eine Fliege einem gerade beim Einatmen in den Hals fliegen will, so dass man anhalten und husten muss. Als wir den Gipfel erreichten, der höher war als angenommen, trafen wir auf einige französische Rentner, die an ihren Autos standen und auf die beiden schweißnassen Figuren starrten, die oben ankamen. Einer von ihnen erzählte uns, dass sie auf dem Gipfel gewesen seien und fügte als Witz hinzu, dass sie das zu Fuß geschafft hätten ohne den Luxus eines Fahrrades. Ich grinste einfach nur und schaute auf die Gipfel, noch ungefähr 300 m höher als der Standort ihrer geparkten Autos und dachte "Versuch's doch, alter Sack!". Dabei verschlang ich einen Keks, um meine Energiereserven aufzufüllen, während David unsere weitere Strecke auf der Karte studierte.

   Ich hatte mich in der Annahme getäuscht, dass wir an diesem Tag nicht höher als 1.200 m fahren würden. Nachdem wir den Collada-Pass in 1.500 m Höhe erreicht hatten und seit Escalona um 900 m angestiegen waren, rechnete ich damit, dass wir von nun ab bergab fahren würden. Aber das war nicht der Fall. David hatte wieder einen Platten, den wir schnell beheben konnten, und weiter ging es bergan statt bergab. Nach einiger Zeit fühlte ich mich unterzuckert, so dass wir eine Pause einlegten und mehr Kekse aßen. Außerdem waren wir uns unseres Weges nicht sicher, was noch zu meinem Unbehagen beitrug, wie weit wir an diesem Tag wohl noch kämen.

   Als wir die nächste Höhenmarke überschritten hatten und eine Hütte entdeckten, die mit der auf der Karte eingezeichneten übereinstimmte, war ich erleichtert und mir fiel ein Stein vom Herzen. Wir bahnten uns rasch den Weg abwärts auf einem breiten mittelgroßen Kiesweg. Das ganze Fahrrad war einer großen Belastung ausgesetzt; besonders die Gabeln, Räder und Bremsen. Ich machte mir etwas Sorgen um Davids Bremsen, denn die Bremsbeläge wurden extrem dünn. Vor unserer Tour war David auf einer 6-tägigen, von seiner Uni organisierten Radexkursion in den Alpen. Ich hatte dafür eine komplette Fahrradinspektion vorgenommen und sowohl die Bremsbeläge als auch der Antrieb erneuert. Aber keiner von uns hatte damit gerechnet, dass 6 Tage Radfahren die Bremsbeläge derartig abnutzen würde und daher auch nicht daran gedacht, sie nochmals auszuwechseln. Ich hatte nur ein Paar Reservebeläge dabei und wollte daher in den nächsten Tagen Davids Bremsbeläge ständig im Auge behalten. Ich wartete darauf, dass sich die ersten mit einem "Ich bin geliefert" bemerkbar machen würden, um diese dann zu ersetzen. Es ist so wahrscheinlich, irgendwo in den Pyrenäen Ersatzteile zu finden, wie auf einen der beiden Schwarzbären zu treffen, die entlang unserer Strecke von den Franzosen wieder in diesen Bergen eingeführt worden waren.

   Wir fuhren ca. 500 m bergab nach Viú, müde, aber gut gelaunt. Nach Viú kam Senz, wo wir unser Wasser an einer Quelle auffüllten, die uns nach Aussage einer alten Dame erfrischen und unsere Lebensgeister wieder beleben würde. Dann trafen wir zum ersten Mal seit Fanlo an diesem Morgen wieder auf einen gepflasterten Weg und sausten herab zu einem Fluss. Wir entschieden uns, hier zu zelten. Der Fluss speiste eine Wasserkraftanlage nur eine halbe Kilometer über unserem Lager. Wir konnten also nur hoffen, dass während der Nacht, wenn wir schliefen, kein Wasser abgelassen wurde oder uns irgendeine Art Sirene rechtzeitig - bevor wir überflutet würden - warnen würde. Natürlich konnte man das Zelten an einem solchen Ort weder als intelligent noch als sicher bezeichnen, aber wir waren mehr als begeistert, so ein nettes Plätzchen abseits der Straße, wo uns keine Guardia Civil bemerken würde, zum Ausruhen, Kleiderwaschen und für unsere eigene Körperpflege gefunden zu haben.

   Wir nahmen den Kocher heraus und begannen mit den Vorbereitungen des Abendessens, als plötzlich die Benzinflasche in Flammen aufging. Das trockene Gras in der Nähe fing sehr schnell Feuer, aber unsere Reflexe waren schnell genug, um das Feuer auszutreten, bevor es sich unkontrollierbar ausbreiten konnte. Zuerst, als wir nur bemerkt hatten, dass das trockene Gras Feuer gefangen hatte, sprühten wir Wasser auf den Boden, entfernten das Gras um den Kocher und widmeten uns wieder dem Kochen. Auf einmal fingen die Flaschen wieder Feuer und Flammen schossen aus der Pumpe. Nach einem kurzen Feuertanz untersuchte ich den Kocher und die Pumpe. Wir stellten fest, dass die Flasche undicht war. Ein solch einem Fall ist Organisation gefragt. Bevor wir zu unserer Tour aufbrachen, hatte der Mann in dem Outdoor-Laden David versichert, dass wir kein Wartungsset für den Kocher bräuchten. "Ölt die Teile, die es benötigen und alles ist in Ordnung" versicherte er David. Nachdem ich aber bereits auf meiner allerersten Tour damit Probleme gehabt hatte, bestellte ich das Set trotzdem und baute den Kocher wieder zusammen, ohne zu vergessen, die restlichen Teile und Stücke für unsere Tour zusammenzupacken. Das hatte zwei positive Auswirkungen. Zum einen kannte ich jedes Teil des Kochers, nachdem ich ihn zuvor mehrmals ganz auseinandergenommen hatte. Zum anderen hatten wir Ersatzteile dabei. Der Grund für das Loch war schnell gefunden und die Dichtung, das für dieses Malheur verantwortlich war, blitzschnell ersetzt. Ohne das vorausschauende Denken hätten wir für den Rest unserer Tour keinen Kocher gehabt und er wäre für uns nur unnötiger Ballast gewesen. So aber saßen wir auf dem verbrannten Gras, blickten auf die Milchstraße und genossen unsere wohlverdiente warme Mahlzeit.

Abendessen: Mais, grüne Paprika, Tomaten mit Risotto und Parmesankäse in einer Tomatensauce.


    Dienstag, 13. September - Tag Acht
    94 km - 2.134 Höhenmeter

"Wer glücklich reisen will, reise leicht." - Antoine de Saint-Exupéry [1939]

elevation day 8

GPX-Datei Tag 8 herunterladen


   Was für ein tolles Wetter haben wir in den Bergen! Seit dem ersten Tag ist noch kein einziger Tropfen Regen gefallen. Blauer Himmel und ein warmes Klima machen das Radfahren perfekt - zumindest für mich, obwohl ich weiß, dass es manche Leute lieber etwas kühler hätten. Natürlich haben wir viel geschwitzt, was die weißen Salzflecken auf unserer Kleidung am Ende eines Tages zeigten; aber bei gutem Wetter ist alles - angefangen vom Kochen bis zum Trocknen der Kleidung - unkompliziert. Während des heutigen 10%igen Anstiegs schaute ich auf meinen Fahrradcomputer, auf dem 36°C angezeigt wurden ... nicht schlecht für Mitte September!

   Nachdem wir nun seit über einer Woche "auf der Straße" sind, möchte ich etwas zu unserem Tagesablauf sagen; irgendwie hat sich im Laufe der Zeit automatisch eine feste Struktur gebildet, an die wir uns halten. Und warum soll man nicht einer Sache folgen, die offensichtlich gut funktioniert?

   Wir werden gegen 8.00h wach, aber nicht etwa durch einen Wecker, sondern wir stehen einfach auf, wenn die Sonne unsere Augen öffnet. Die Zeit variiert üblicherweise, je nachdem wie müde wir sind und wo wir unser Zelt aufgeschlagen haben. In den Bergen braucht die Sonne ein Weilchen, bis sie hinter den Berggipfeln auftaucht, so dass wir später erwachen. Morgens lassen wir es im Allgemeinen gemütlich angehen. Wenn ich etwas hasse, dann ist es aufzustehen und mich abzuhetzen. Wir sind schließlich im Urlaub und nicht im alltäglichen Chaos. 8.00h ist sowieso früh genug. Wäre ich im Urlaub zu Hause, würde ich nie um diese Zeit aufstehen. Wir frühstücken, unterhalten uns ein bisschen, tauchen in den eiskalten Fluss und prüfen die Radausrüstung wie Speichen, Räder, Reifen, Bremsen, Schmierung und reinigen die Gabel, bevor wir unsere Siebensachen packen und losfahren.

   Normalerweise sind wir bis 10.00h oder 10.30h fertig. Es ist eine Tradition von uns, während der ersten Pedaltritte des Tages ein paar Strophen von Canned Heats Stück "On the Road Again" zu singen und damit zu zeigen, dass die Reise erneut begonnen hat. Nach ungefähr vier Stunden Fahrradfahren sind unsere Abendessen - und Frühstücksreserven verbraucht, so dass wir eine Mittagspause einlegen. Sie dauert ca. eine Stunde, in der wir normalerweise Fleisch und Käsebrote entweder mit Tomaten, Möhren oder Gurken und Obst essen. Wir halten keine Siesta, denn dadurch würden wir einige Stunden fürs Radfahren verlieren. Außerdem finde ich es eher ermüdend als belebend, mittags ein Schläfchen zu halten. Um ca. 17.00h legen wir eine Kekspause ein, um unser Leistungsniveau mit Zucker für die nächsten paar Stunden des Fahrradfahrens zu erhalten. Ich finde das wirklich wichtig und halte es nicht nur für Gefräßigkeit. Wenn wir zu wenig essen, merke ich das ein paar Kilometer später ganz genau. Meine Beine fühlen sich wie Gummi an und ich konzentriere mich nicht mehr auf die Straße. Schlimmstenfalls spüre ich die Auswirkungen der Unterzuckerung, kalter Schweiß, unscharfes Sehen und leichte Kopfschmerzen. Sobald wir die Kekse gegessen haben, bessert sich das Befinden fast schlagartig dank der kurzen Zuckerproduktionsketten. Übrigens bleibt diese positive Wirkung bei längeren Ketten auch etwas länger erhalten.

   Gegen 19.00h beginnen wir die Gegend nach einem optimalen Nachtlager abzusuchen. Das erinnert mich immer an das Sprichwort "Wo ich mich hinlege, bin ich zu Haus." Deshalb sind wir bei der Auswahl unserer Örtlichkeiten etwas pingelig und benoten sie. Wir suchen nach fließendem, möglichst kaltem Wasser und einem ebenen, nicht zu harten Boden für unser Zelt. Im Allgemeinen ist es günstig, von Bäumen umgeben zu sein, da wir sie vielleicht zum Spannen unserer Wäscheleine benutzen. Außerdem halten sie den Morgentau ab. Auf dieser Tour setzt die Abenddämmerung gegen 20.30h ein und da ich nicht gern im Dunkeln koche, haben wir uns selbst das Zeitlimit gesetzt, spätestens zwischen 19.30h und 20.00h ein Plätzchen für die Nacht gefunden haben zu müssen. Bis jetzt waren wir wirklich dankbar, tolle - wenn auch etwas illegale - Zeltgelegenheiten gefunden zu haben. Aber ganz ehrlich, jeder weiß, dass alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, als Straftat betrachtet wird.

   David richtet das Zelt in die bestmögliche Richtung aus und wir richten unsere neue Unterkunft ein, in dem wir alles möglichst geordnet und im Blickfeld lassen. Wir sammeln unsere Abfälle nach dem Motto auf: "Was man mitbringt, nimmt man auch wieder mit!". Dieses Schild sieht man manchmal in den Nationalparks der USA. Wir waschen unsere Kleider und uns selbst, da wir stets im Hinterkopf daran denken, am Ende des nächsten Tages evtl. kein Wasser zur Verfügung zu haben. Wenn kleine Radreparaturen erforderlich sind, z.B. das Ausbessern eines durchbohrten Schlauches, führt David sie um diese Zeit durch, während ich das Nötige für das Abendessen organisiere. Kochen dauert eine halbe Stunde; danach genießen wir das zu essen, was wir während des ganzen Tages oder sogar während zwei oder noch mehr Tagen mit uns herumgeschleppt haben. Nach dem Abendbrot werden der Topf und die Tassen abgewaschen und wir sind bettfertig. Wir besprechen noch das Programm für den kommenden Tag und tragen unsere erbrachten Leistungen in das Fahrtenbuch ein. Das hat sich als sehr hilfreich bei den Planungen erwiesen, denn wir können damit abschätzen, ob wir unsere gesetzten Ziele erreicht haben bzw. wie weit wir davon noch entfernt sind. Außerdem können wir unsere Strategie neu anpassen, bis ins kleinste Detail abstimmen oder auch ganz überdenken. Das Fahrtenbuch ist sehr wichtig für den Erfolg. Ohne dieses Buch wären wir vielleicht am 13. Tag nicht an der Ostküste und unser Endziel wäre in der Zeit nicht mehr zu erreichen.

   Nun aber zu heute: Wir entschieden uns, einen Teil des "vorgeschriebenen" Wegs auszulassen, wobei es keinen "richtigen" Weg außer dem selbst gewählten gibt. Wir versuchen, dem Mountainbiking möglichst treu zu bleiben, aber um eine 16-tägige Tour in 14 Tagen zu schaffen, muss sie - wenn auch nicht viel, aber doch etwas - gekürzt werden; zumal diese Tagesetappen für Radfahrer ohne Gepäck gedacht sind. Wenn ich außerdem die Anzeigen unseres Fahrradcomputers mit den Höhenprofilen in unserem Führer vergleiche, bin ich nicht ganz von der Prognose des Buches überzeugt. Wahrscheinlich meisterten wir höhere Anstiege als angegeben.

   Der Teil, den wir ausgelassen haben, führte uns auf einer Abkürzung von unserem Zeltlager aus über Landstraßen unterhalb der Staumauer der Wasserkraftanlage nach El Pont de Suert. Natürlich war die Straße nirgendwo auch nur annähernd flach - das scheint ein Tabu in den Pyrenäen zu sein - aber sie stieg im Gegensatz zu Pfaden mit sowohl unberechenbaren Steigraten und Bodenbeschaffenheiten gleichmäßig an. Und noch etwas Seltsames: je steiler der Anstieg war, desto schlechter wurde das Gelände an sich, was das Radfahren noch schwieriger machte.

   Bei Ankunft in El Pont de Suert hielten wir an einem Supermarkt, um ein paar kalte Erfrischungsgetränke zu kaufen. Wir labten uns an unserem Mittagessen auf dem perfekt geschnittenen weichen Rasen hinter einer Kirche. Wir hatten - wieder einmal - vollkommen die Siestazeit vergessen und standen daher nach Rückkehr zum Supermarkt vor seinen verschlossenen Türen. Wir hielten an einem Café und fragten nach, ob noch irgendwelche Geschäfte geöffnet wären. Glücklicherweise gab es am Ende der Straße einen kleinen Lebensmittelladen. Wir eilten sofort dorthin und ließen unseren Kaffee und unsere Fanta halbvoll zurück. Die Uhr im Laden zeigte 13:45h an, obwohl es schon nach 14.00h war. Vielleicht ein Fehler des Lebensmittelhändlers, aber für uns jedenfalls ein kleines Wunder. Wir durchsuchten sein Angebot und stellten uns die Mahlzeiten vor, die wir mit seinem kleinen Warenbestand zaubern könnten.

   Wir verließen El Pont de Suert und arbeiteten uns einen 13% ansteigenden steinigen Weg hoch, der uns von einer Höhe von 800 auf 1.600 m brachte, während wir unterwegs kleine Dörfer passierten. Der Anstieg war anstrengend. Obwohl wir unser nächstes Ziel - ein kleines Dorf namens Sas - direkt neben uns über ein Tal hinweg und am Grat eines anderen Berges sehen konnten, konnten wir es nicht gleich erreichen. Stattdessen mussten wir alle Berge umfahren und schmale Pässe hinter uns lassen, bis wir endlich dort ankamen. In der nächsten Stadt Sentis - einer Siedlung mit zwei Häusern - war keine einzige lebende Person zu sehen, ABER in einem offenen Innenhof stand ein funktionierender Cola-Automat. Ich warf 1 Euro ein und wir teilten uns die eiskalte Dose, bevor wir unsere Wasservorräte mithilfe eines nahe liegenden Gartenschlauchs auffüllten.

   Eine lange Abfahrt folgte und durch eine kleine Öffnung kamen wir zu einem Bach. Aufgrund seiner perfekten Lage war er sofort als geeignetes Zeltlager genehmigt. Das große Gebäude nebenan - wahrscheinlich ein Kloster - war leer mit Ausnahme zahlreicher Katzen, die durch die Räume streunten und großes Interesse an uns und unseren Lebensmitteln zeigten. Beim Ausbessern von Davids kaputtem Schlauch kamen wir jetzt auf insgesamt 4 Platte für ihn und 2 für mich; also insgesamt 6 einschließlich einem reparierten Riss in Davids Hinterreifen. Diesen hatten wir mit dem Vorderreifen ausgetauscht, da er hier weniger Ärger machen würde. Diese Tour war und würde weiterhin tödlich für unsere Pneumatik sein.

Abendessen: grüne Paprikaschoten, Porree, Bohnen und Kuskus in einer Sahnesauce mit Parmesankäse.


    Mittwoch, 14. September - Tag Neun
    74 km - 1.234 Höhenmeter

"Das Wesen des Safety's ist für viele Fahrer, die es bevorzügen etwas Risiko einzugehen - das dem Sport den Anreiz gibt - eher geschmacklos. Das Ordinary hat Zukunft und wird nie unbrauchbar werden, dafür hat es zu viele ausgezeichnete Qualitäten." - Bicycling World [1887]

elevation day 9

GPX-Datei Tag 9 herunterladen


   Dies ist einer der Tage, an dem man denkt "Wow! Das lief nicht wie geplant!" und genau die Art Tag, die einem zeigt, dass man mal eine Glücks- und mal eine Pechsträhne hat. Hierzu passend eines von Davids Lieblingssprichwörtern: "manchmal bist Du der Baum, manchmal bist Du der Hund". Da wir schon früh am Morgen um 9:30h losfuhren, war es für uns eine gute Chance, ein paar Kilometern weiterzukommen und unsere Verzögerung aufzuholen. Dann PENG! Der Schlauch meines Hinterreifens platzte und die gesamte Luft schoss innerhalb von Millisekunden heraus. Beim Untersuchen des Rades zeigte sich, dass die Seitenwände gerissen waren. Vermutlich war dies beim Fahren über scharfkantiges Gestein passiert. Wir entdeckten einen Schlitz im Reifen; hier hatte sich der Gummischlauch aufgeblasen und war dann geplatzt. Mein WTB Nano, der von mir verwendete Geländereifen, hatte nur 600 km geschafft und bereits dann gegenüber den pyrenäischen Verhältnissen aufgegeben. Also haben wir wie Chirurgen den Reifen mit Isolierband und Flicken repariert, einen vor kurzem ausgebesserten Schlauch aufgezogen und sind dann weitergeradelt. Leider hatten wir eine volle Stunde durch diese Reparatur verloren, so dass unser Zeitvorsprung für diesen Tag schon dahin war.

   Anfangs fuhr ich ein wenig vorsichtig, um sicher zu sein, dass die Reparatur hielt, aber alles war gut, als wir einen 12% Anstieg in Angriff nahmen, um nach Guiró zu kommen. Oben in den Bergen mussten wir absteigen, schieben und manchmal unsere Räder durch ein Labyrinth roter Felsformationen tragen, die nicht nur zu eng waren, sondern auch Stufen hatten, die zu steil zum Radfahren waren. Dort oben und zwischen den roten Felswänden verloren wir die Orientierung. Wir legten unsere Drahtesel auf den Gipfel in ca. 1.500 m Höhe. David ging in die eine und ich in die andere Richtung, als wir uns zu Fuß auf die Suche nach einem Weg und irgendeiner möglichen Lösung unseres Problems machten. Es war schwierig einen Weg auszumachen, einige enge Abholzungen sahen aus, als würden sie irgendwo hinführen; doch folgte man ihnen, so zeigte sich schon bald, dass sie ins Nichts führten.

   Wir saßen fest und konnten nur zurückzugehen, nach anderen Pfaden suchen und dabei entweder links oder rechts des Weges gehen, den wir für unsere Hauptroute hielten. Wir trafen schon bald auf einen anderen Biker, der sich auf einer Tagestour einer von ihm gebuchten organisierten Reise befand. Die Veranstalter hatten ihm ein GPS als Wegweiser gegeben
und nach einer kurzen Vorstellung fragten wir ihn, ob er damit unseren genauen Standort finden könnte. Es stellte sich heraus, dass er - genau wie wir - versuchte, nach Guiró zu fahren. Zu unserem Erstaunen zeigte er mit dem Finger auf den Weg, der hinter uns lag und beharrte darauf, dass dies die richtige Strecke sei. Wir behaupteten, dass dieser Weg eine Sackgasse war und dass wir felsenfest davon überzeugt waren, dass Guiró in der Richtung läge, aus der der Biker kam. Da er seinem GPS vertraute, setzte er seinen prognostizierten Weg fort und wir nahmen die entgegengesetzte Richtung. Nach kurzer Zeit hielten wir nichts mehr von unserer eingeschlagenen Richtung und entschieden, dass der andere Radfahrer vielleicht doch Recht gehabt hatte. Also drehten wir uns um 180° und kehrten nochmals auf unserem Weg um.

   Zu unserer großen Überraschung trafen wir erneut auf den Mann. Er kam von dem Weg zurück, den er zuvor für richtig gehalten hatte - der Weg, den wir bei unserem ersten Treffen mit ihm heruntergekommen waren. "Ihr habt recht," rief er, "das GPS hat mich geradewegs in einen Zaun geführt." Wir erwiderten, dass wir die ganze Zeit falsch gelegen hatten, aber der Biker schien nun vom Gegenteil überzeugt zu sein. Noch einmal trafen sich unsere Räder und wir trennten uns in entgegen gesetzte Richtungen. Wir kamen zu dem erwähnten Zaun, betrachteten ihn argwöhnisch und fragten uns, ob er dort überhaupt stehen sollte oder nicht. Am Abhang konnten wir weiter unten eine gepflasterte Straße erkennen. Mangels Alternative nahmen wir an, dass dies genau der auf unserer Karte eingezeichnete Weg sein musste; eine Straße, die in Guiró begann und uns endlich auf den richtigen Weg bringen würde.

   Wir kletterten über das Hindernis. Während wir an zahlreichen Herden weidender Kühe vorbeikamen, waren wir rasch knietief im Matsch versunken. Weiter ging's sehr steil bergab an dornigem Wildwuchs vorbei. Nach vielen Zickzackkurven und lehmigen Böschungen nahmen wir zuerst die Straße zurück ins Dorf von Guiró. Das Dorf war verlassen und verfallen, aber da das Straßenpflaster tatsächlich hier begann, waren wir erleichtert. Bei unserer Abfahrt durchfuhren wir zunächst ein anderes verlassenes Dörfchen, das wir sofort mit unserer Karte verglichen. Alles in Ordnung, zumindest bis wir eine Stadt namens Erto erreichten, zu der es in unserem Führer keinen Hinweis hab. Wir gaben auf und sagten "Scheiße!" Wir hatten überhaupt keine Ahnung, wo wir waren, aber die Straße ging Richtung Osten. Wir schwammen also mit dem Strom und nahmen diese Straße in der Hoffnung, endlich eine Stadt zu erreichen, in der tatsächlich Leute wohnten. Nach einer Weile - wir waren schon weit hinuntergefahren - konnten wir in der Ferne eine Landstraße erkennen. Sie war für uns die einfachste Art, unseren Weg zu finden. Unterwegs hielten wir an dem "ajuntament de Sarroca de Bellera". Glücklicherweise kannten die Damen dort die Gegend genau und im Warteraum hing eine große Landkarte an der Wand. Wir legten sofort eine andere Route fest. Sie würde uns in etwa dorthin bringen, wo wir ohne Verlust der Orientierung hätten sein sollen. Ein weiterer Vorteil dieses Plans war, dass wir durch die Stadt Sort kommen würden, wo wir unsere Vorräte auffüllen konnten. Da diese kleine Stadt auf der Karte ziemlich groß war, waren wir zuversichtlich, dort auch einen Fahrradladen zu finden.

   Wir nahmen die Landstraße - eine schnelle und angenehme Fahrt - hinunter nach Senterada, wo wir in Gesellschaft zweier Katzen und eines Huhns eine Kaffee- und Mittagspause einlegten. Danach ging's weiter durch die Dörfer von La Poblera de Bellvei, Montcortés und Permea. Anhand der hier und da hängenden Fahnen konnte ich immer häufiger erkennen, dass wir auf dem Weg nach Katalonien waren. Hinweisschilder mit der Aufschrift "área privada de caça" ließen mich einige Male laut auflachen. Aber wie schon durch die Verwendung des Buchstabens "ç" deutlich wurde, hatten wir die Region gewechselt.

   Während der Fahrt auf der Landstraße wurden wir mit einer merkwürdigen optischen Täuschung konfrontiert. Obwohl der Weg hin und wieder scheinbar bergab ging, sagten mir die Angaben auf meinem Fahrradcomputer und auch der beim Radeln gespürte Widerstand, dass wir berghoch fuhren. Tatsächlich - wenn der Weg geradeaus zu gehen schien, fuhren wir eine 3% Steigung hoch. Ich hatte auch David gefragt, ob seiner Ansicht nach die Straße in der Ferne bergab führte und er bestätigte mir das. Ich bin mir nicht sicher, warum dieses Phänomen auftritt, aber ich versuche es, wie folgt zu erklären: die Berge und Bäume, die wir visuell peripher als Hintergrund wahrnehmen, sind vielleicht selbst nicht gerade, so dass ein Ungleichgewicht entsteht und der Glaube, dass das von uns Wahrgenommene eben ist.

   Die N-260, eine Straße, die wir vorher benutzt und an einigen Punkten gekreuzt hatten, führte uns geradewegs nach Sort. Hier waren alle Geschäfte geschlossen - es war 16:15h, also Siestazeit. Die engen Straßen der Stadtmitte erinnerten an eine Geisterstadt. Wären wir in Mexiko gewesen, hätte uns vielleicht Panik befallen. Auf unserer Reise im vergangenen Jahr hatte uns ein Amerikaner gewarnt: "Kommt ihr in eine Stadt, in der niemand auf der Straße und es überall ruhig ist, macht, dass ihr wegkommt, denn dort ist die Kacke am Dampfen!" Obwohl hier genau diese Situation vorherrschte, hatte ich keine Angst, dass in Sort etwas passieren könnte. Das Bild an sich weckte diese Erinnerung, die ich aber mit einem Grinsen abtat.

   In Sort setzten wir uns in ein Café, genossen einige kalte Erfrischungsgetränke und Schokoladencroissants, nachdem wir unsere dreckigen Füße im Spülstein des Badezimmers gewaschen hatten. Zu unserem Glück hatte der Fahrradladen bis 17.00h geöffnet, aber der Anblick der Person hinter der Kasse passte nicht zu den ausgestellten Mountainbikes und Fahrradzubehör. Eine kleine dicke und ältere Frau fragte uns nach unseren Wünschen. Als ich sagte, dass ich einen neuen Reifen benötigte, war für diese Dame ganz offensichtlich Reifen gleich Reifen. Sie schien überhaupt nicht zu wissen, dass es darin Unterschiede gibt. Ich nahm mir einen Continental Race King 2.0" vom Gestell. Er war zwar etwas schmal für unseren Gebrauch, aber das Passendste, was dort hing. Ich zahlte etwas weniger als €20 für ihn - ein ganz annehmbarer Preis. Wir kauften noch einige Flicken, aber Bremsbeläge waren etwas schwieriger zu bekommen. Alle drei Geschäfte in Sort - selbst der, der Fahrräder und Gewehre verkaufte! - konnte uns nicht helfen, aber ich hatte mir schon gedacht, dass dies schwierig bis unmöglich wäre.

   Bei unserem spanischen Lieblingssupermarkt "Dia" deckten wir unseren Bedarf an Lebensmitteln und erfrischten uns mit gekühlten Joghurtgetränken, bevor wir unsere Fahrt fortsetzten. Unterwegs füllten wir Benzin in unserem Kocher für sage und schreibe 50 Cents nach, von dem einiges bei dem Vorfall mit der undichten Stelle verloren gegangen war. Wir erreichten La Noguera Pallarese mit einem Fluss, der bestens zum Rafting geeignet war, einem großen Zeltplatz und der besten Waschgelegenheit auf dieser gesamten Reise. Morgen würde es steil nach Roní berghoch gehen. Wir konnten diese Stadt schon von hier aus sehen, aber jetzt entspannten wir uns erstmal und bereiteten eine annehmbare warme Mahlzeit zu.

Abendessen: Sardinen, grüne Bohnen, Oliven, Tomaten mit Spaghetti und viel Käse in einer Tomatensauce.


    Donnerstag, 15. September - Tag Zehn
    88 km - 2.276 Höhenmeter

"Ich begann zu fühlen, dass das Fahrrad und ich gleich ich und die Welt wurde, auf deren Spinrad wir alle zu fahren lernen müssen oder wir fallen in die Rinne der Vergessenheit und Verzweifelung. Das was mich zum Erfolg mit dem Fahrrad führte, war genau das, was mich im Leben erfolgreich machte - es war die entschlossene Motivation, die mich anfangen ließ, der starke Wille, der mich bei meiner Aufgabe hielt und die Geduld, die mich neu anfangen ließ, wenn der letzte Tritt fehlschlug. Also entdeckte ich im Fahrradfahren, welches ich als Lehrer ohne Pult empfehlen kann, eine hohe Moral. Sie, die Erfolg im Meistern des Fahrradfahrens erlangt, wird auch Meisterin des Lebens." - Frances E. Willard [1895]

elevation day 10

GPX-Datei Tag 10 herunterladen


   Immer noch tolles Wetter, kein einziger Regentropfen; das einzige Wasser, das außerhalb von Flüssen, Strömen und Quellen zu sehen ist, ist der Morgentau, der schnell verschwindet, sobald die Sonne über den Berggipfeln aufgetaucht ist. So schwer es gestern gewesen war, den Weg zu finden, so einfach war es dagegen heute. Wir konnten sogar einen neuen Rekord im Gesamtanstieg aufstellen. Wir fuhren Richtung Roní los, nachdem wir die Räder überprüft, geölt und Davids Bremsbeläge am Vorderrad ausgewechselt hatten, denn sie waren nur noch hauchdünn.    Der Anstieg war anstrengend, aber problemlos - ebenso die restlichen Kies - und Waldwege nach Roní. Auf dem Coll de Barrette in ca. 1.700 m Höhe fanden wir ein hübsches grünes Fleckchen mit einem Café und Picknickbänken. Während ich mir einen Kaffee holte, reparierte David noch einen Platten. Ich zähle schon nicht mehr die Flicken auf unseren Schläuchen, da sie sehr zahlreich geworden sind. Aber David war auf einen spitzen Stein gekommen und auch mein Hinterrad musste immer wieder einmal aufgepumpt werden. Wir nahmen unsere Rationen heraus und genossen ein leckeres Mittagessen in einer bequemen Sitzposition, fuhren dann auf netten Wegen durch abgelegene hübsche Steindörfer, die teils vollkommen verlassen waren und teils hauptsächlich von älteren Leuten bewohnt wurden.

   In Castellar de Tost, eine nach Kuhmist und Viehhaltung stinkende Dorf aßen wir ein paar Kekse. Es war wirklich eine kluge Entscheidung hier zu halten und zu pausieren - wenn auch nur für einige Minuten - , denn was jetzt auf uns zukam, würde uns jeglicher Kohlehydrate berauben. Der Boden bestand nun aus weicheren Schichten kleiner trockener Steine, die während des mühsamen Aufstiegs unter unseren Reifen wegrutschten. Ohne Bodenhaftung auf einem 12% Anstieg und mit Lebensmitteln gefüllten Taschen, die uns hinunterzogen, mussten wir absteigen und einen guten Teil der Strecke zu Fuß bewältigen. Das wäre in Ordnung gewesen, wenn sich nicht die nervenden Fliegen dazu entschlossen hätten, uns auf unserem Kampf gegen den Berg zu begleiten. Sie flogen direkt vor unsere Gesichter und neckten uns. Man konnte sie beinahe lachen hören, wenn sie versuchten, durch unsere Brillen in unsere Augen zu fliegen oder beim Einatmen in unsere Münder zu kommen.

   Beim Erreichen des Berggipfels pumpte ich meinen Reifen erneut auf. Wir trafen jetzt wieder auf Straßenpflaster und verabschiedeten uns von den kleinen geflügelten Tätern, die wir aufgrund unserer Geschwindigkeit loswerden konnten. Wir tauschten erneut gepflasterte Straßen gegen Kieselwege ein und kamen durch mehrere leblose Städte mit Brunnen, an denen wir unsere Flaschen auffüllten. Pro Person kamen wir auf vier Liter - das war die Menge für eine ganze Weile, da wir meist die Gelegenheit hatten am Wasser zu pausieren. Außerdem hatten wir reichlich Quellen gefunden, um unsere Trinkflaschen - mindestens zwei Mal am Tag - aufzufüllen.

   Weiter ging's auf sehr angenehm geteerten Straßen, die scheinbar nur zum Radfahren gebaut worden waren. Die kurvige 12%ige Abfahrt endete in einem Dorf, als wir zu einem Zeltlager radelten, der laut unserer Karte Molí de Fórnols hieß. Um 18:15h kamen wir dort an. Da wir entschieden, dass es noch zu früh sei, um dort schon zu halten, ging es weiter nach Tuixén. Wir mussten auch noch etwas frischen Aufschnitt kaufen, nachdem wir zu Mittag die spanische Wurst vertilgt hatten, die eigentlich zwei Tage lang halten sollte. Unsere Beine verlangten eine Pause, aber wir fuhren in Spiralen um und in der kleinen Stadt herum, die auch als größeres Dörfchen bezeichnet werden konnte, um festzustellen, dass unser Führer uns erneut getäuscht hatte. Tuixén hatte nämlich kein einziges Geschäft, während es laut Buch hier zwei Stück geben sollte.

   Wir trösteten uns mit kalten Erfrischungsgetränken und erkundigten uns nach unserem nächsten Ziel: die Stadt Baga - ein echter Brocken auf unserer Tour. Hier würden wir für die nächsten zwei Tage einkaufen und vielleicht auch ein paar Fahrradausrüstungen bekommen. An diesem Abend hatten wir wieder Glück, eine Lagerstätte direkt außerhalb von Tuixén zu finden. Da der Boden ziemlich hart war, war das Aufbauen des Zeltes eine knifflige Aufgabe und David konnte nur herumprobieren. Während ich meine salzbefleckten Sachen im Fluss wusch, sah ich ihm zu, wie er den Hering in der einen Hand mit einem Stein in der anderen Hand in den Boden hämmerte. Er hatte drei Heringe in den Boden geschlagen, bevor er mit dem vierten auf felsenfesten Untergrund stieß und so ein paar Meter weiter von vorn anfangen musste. Aber trotzdem fühlten wir uns - sauber und satt - großartig. Trotz der Regenwolken, die über uns und nach Osten hin lagen, konnten wir im Trockenen kochen, unser Abendessen genießen und gut schlafen.

Abendessen: Aubergine, Zucchini, grüne Erbsen mit Käse und Fleisch-Tortellini in einer Roquefortkäse-Sahnesauce.


    Freitag, 16. September - Tag Elf
    84 km - 2.430 Höhenmeter

"Letztes Jahr, zur Zeit der Weltausstellung, mitten in den erstaunlichen Neuheiten, war ich überrascht zwei junge Männer auf Apparaten sitzend, die ich nicht kannte, vor meinen Augen vorbeifahren und verschwinden zu sehen. Einige Wochen später, sah ich einen Mann am Bahnhof Bezancours ankommen, der auf dem selben Objekt sa&szlihg;. Dieses mal konnte ich zwei Räder erkennen, ein kleines vor einem großen platziert, einen kleinen Sattel, zwei Handgriffe und zwei Steigbügel. Der Mann stieg aus, aber das Pfeifen der Lokomotive hinderte mich daran, den Namen dieser merkwürdigen - ich würde fast sagen fantastischen - Maschine zu erfragen. Neulich fiel mir ein Sportmagazin in die Hände. Es sprach mit viel Lob über ein gewisses Veloziped, das ich direkt als mein merkwürdiges Pferd-Fahrzeug erkannte." - A. Picart in a letter to Michaux [1868]

elevation day 11

GPX-Datei Tag 11 herunterladen


   Heute hat es geregnet! Ist das nicht klasse? Ja, es ist toll - am Ende eines Tages, an dem man viel geleistet hat und jetzt danach unversehrt in einem schönen und trockenen Zelt ist.

   Nachdem wir Tuixén an diesem Morgen hinter uns gelassen hatten, hatten wir mit der Idee geliebäugelt, die Straße nach Baga zu nehmen, da wir dort vor Beginn der Siesta ankommen wollten. Anderenfalls müssten wir bis 17.00h warten und dadurch kostbare Zeit zum Radfahren verlieren. Zum Glück hielten wir, um einen Mann nach dem Weg zu fragen. Er zeigte auf einen Pfad - der gleiche, der auch in unserem Führer eingezeichnet war -
und erklärte uns, dass es besser sei, querfeldein zu fahren statt die Straße zu benutzen. Diese würde sich ein wenig schlängeln und dadurch erheblich die Entfernung nach Baga verlängern. Wir stimmten zu und folgten der "BTT Cadí Moixeró", einem offiziellen MTB-Weg. Diese Entscheidung bereuten wir nicht, denn hätten wir diese Landschaft verpasst, wäre es wie ein Besuch in Paris ohne Besichtigung des Eiffelturms gewesen.

   Wir starteten auf breiteren Steinwegen, stiegen manchmal ab und konnten auch gelegentlich den Luxus des Radfahrens genießen. Die Aussicht war umwerfend, eine Mischung grüner Berghänge, umgeben von zerklüfteten felsigen Pfaden, die Richtung Gipfel endlos zu sein schienen. Wir stiegen auf 1.900 m an und bereiteten uns auf die Abfahrt vor. Ich klebte meine Kamera an den Handgriff in der Hoffnung, die Fahrt zu filmen, ohne dass es für mich gefährlich würde, die Kamera mit einer Hand zu halten. Aber nein, bei dieser Abfahrt brauchte ich beide Hände! Sie war spektakulär und ermüdend, da die unebene und schroffe Talfahrt einige Zeit in Anspruch nahm. An einer Stelle machten wir einen kleinen Fehler, als wir eine einspurige GR wählten, die sich als unbefahrbar erwies und uns eine halbe Stunde Zeit kostete. Die Steinstufen waren hoch, aber wir kamen letztendlich durch. Ein Blick auf meinen Fahrradcomputer zeigte mir, dass wir zeitmäßig gut lagen, da wir schnell auf dem Kiesweg nach Baga herunterfuhren.

   Es war ungefähr 13:10h, als wir in der Stadt ankamen. Zu unserer Überraschung schien es, als hätten wir in eine andere Zeitzone gewechselt. Denn hier war der Beginn der Siesta auf 13:30h festgelegt, eine halbe Stunde früher als wir es gewohnt waren. Wir flitzten also los, um einen Supermarkt zu finden und so schnell wie möglich unsere Einkäufe zu erledigen. Während ich in den Gängen nach Kochideen suchte oder durch alle Regale ging, um nach einem bestimmten Artikel, den ich nicht finden konnte, zu gucken, traf es uns wie ein Blitz; wir mussten nicht nur für zwei Tage einkaufen, sondern für drei. Der dritte Tag war ein Sonntag, an dem alle Geschäfte geschlossen sein würden. Unsere Hände arbeiteten noch schneller, als wir alles, was wir bekommen konnten, an uns rissen, während die verärgerten Angestellten Gang für Gang verschlossen. Als wir zur Kasse kamen, hatte ich bei 50% der Waren auf dem Band keine Ahnung, um was es sich handelte, war aber froh, dass die Einkäufe ausreichend zu sein schienen. Draußen fanden wir eine noch geöffnete Bäckerei. Nachdem wir in einem nahe gelegenen Café gefragt hatten, ob wir unser eigenes Mittagessen dort verzehren dürften, ließen wir uns dort nieder und bestellten insgesamt sechs Erfrischungsgetränke und zwei große Café con leche; natürlich beide für mich.

   Es gibt Momente wie diesen, in dem wir uns in einem echten Trinkrausch befinden und es kein Problem ist, 1-Liter Coca-Cola zu verschlingen. Das muss man so sehen: Ein Mountainbiker schwitzt pro Stunde in etwa 1,1 Liter aus. Multipliziert man diese Menge mit der Anzahl der geradelten Stunden, wird deutlich, dass die benötigte Flüssigkeitsaufnahme zu einem Hochleistungstrinken führen würde, das wir deshalb automatisch auf später verschieben. Ich sage nicht, dass dies die "beste" Methode ist; wahrscheinlich ist es sogar die schlechteste, aber während des Fahrens trinken wir nur minimal, da wir uns mehr darauf konzentrieren, vorwärts zu kommen als ausreichend zu trinken. Während wir unterwegs sind, erwache ich manchmal nachts mit einem riesigen Appetit auf Wasser; deshalb steht immer eine Flasche direkt draußen am Zelteingang.

   Wir packten all unsere gekauften Waren in unsere Satteltaschen, was aber keine einfache Aufgabe war. Lebensmittel für zwei Tage einzupacken ist schon schwierig, aber das Verstauen von drei Frühstücken, drei Mittagessen und drei Abendessen erfordert viel Strategie, um die Sachen, wo immer möglich, hineinzustopfen. Meine Taschen waren übervoll, nach außen gebeult und nichts würde mehr hineinpassen. Mein Gepäck wog ungefähr 50 Kg - David meint zwar, dass ich hier etwas übertreibe. Na ja, vielleicht waren es 40 Kg und es ist zu vergleichen mit Temperatur und Wind-Chill-Faktor. Meiner Meinung nach lag mein Belastungsfaktor bei 50 Kg, aber vielleicht waren es tatsächlich nur läppische 40. Auf jeden Fall stellt euch vor, einen Hintern zu haben, der 40 Kg mehr wiegt als üblicherweise. Und damit fahrt dann eine Steigung von über 1.200 m hoch! Das genau haben wir nämlich gemacht.

   Baga liegt 780 m hoch über dem Meeresspiegel und die Höhe des Coll de Pal beträgt 2.070 m. Also sind wir mit unseren wackeligen Hinterteilen 1.300 m hochgefahren, als genau dann der Regen einsetzte. Zuerst war es äußerst angenehm, von den auf der Haut verdunstenden Tropfen gekühlt zu werden, so dass wir nicht schwitzten. Aber oben auf dem Pass wurde es kälter und Wind kam auf. Wir mussten - zum ersten Mal auf dieser Tour - unsere Kleidung übereinander schichten. Dann verschlangen wir ein paar billige, seltsam schmeckende Kekse, die - wie David mir später sagte - schon vor dem Kauf geöffnet waren. Danke David! Dies veranlasst mich zu einer weiteren wichtigen Anmerkung, auf die wir während der Radtouren durch viele Länder gestoßen waren: Die Verpackung und Haltbarkeitsdaten sollte man in kleinen Lebensmittelgeschäften immer prüfen, denn oft stehen die Waren auf dem Regel mit einer Staubschicht bedeckt und mit an den Seiten herabhängenden Spinngeweben; außerdem interpretiert der Verkäufer "haltbar bis 03/00" mit "nicht mehr supergut, aber nach 03/00 noch immer in Ordnung".

   Wir rutschten über Skihänge, die noch auf kälteres Wetter warteten, und eine nasse Mischung aus Dreck und Kies darstellten, herunter. Unser Slalom nach Molina nahm einige Zeit in Anspruch. Molina ist ein Skiort, der außerhalb der Saison mehr tot als lebendig erscheint. Da die Gebäude, Appartements, Eigentumswohnungen und Geschäfte geschlossen waren, herrschte eine verschlafene Atmosphäre vor, die an eine verlängerte Siesta erinnerte. Da Molina in einem Tal zwischen Bergen liegt, zieht es auch das schlechte Wetter an. Wir waren nicht zu begeistert von dem verlassenen Platz, den fehlenden Wasserquellen und den dunklen Wolken über uns, so dass wir den nächsten Pass Richtung Toses nahmen. Hier legten wir einen "Boxenstopp" ein und schütteten einige Red Bulls in uns. David musste sein Getränk wegen des bedrohlichen Pilzes, der oben auf der Dose wuchs [wie ich sagte ... doppelte Kontrolle!], umtauschen. Direkt hinter Toses fanden wir ein tolles Plätzchen nahe der Bahngleise mit einem Fluss in der Nähe, das auch nicht zu weit von der Straße entfernt war.

   Der Himmel hatte sich langsam aufgeklart, so dass wir für den nächsten Tag auf gutes Wetter hofften. Sollte das nicht klappen, wäre es auch nicht schlimm. Wir trösteten uns damit nach Osten Richtung Mittelmeer zu fahren, wo sich die Sonne gegen den Regen durchsetzen würde. Außerdem sind wir sehr stolz auf unseren Gesamtanstieg von 2.400 m, den wir heute erreicht haben. Das ist ein Rekord einschließlich unserer maximalen Erhebung von 2.070 m, die die höchste unserer Tour ist.

Abendessen: Zucchini, Möhren, Kartoffelpüree mit scharfen Wurstscheiben und Käse.


    Samstag, 17. September - Tag Zwölf
    77 km - 1.423 Höhenmeter

"Das Veloziped ist bekanntlich tot." - Sunday Mercury [1869]

elevation day 12

GPX-Datei Tag 12 herunterladen


   An diesem Tag spürten wir, dass sich das Buch langsam schloss. Wir fühlten das Ende der Tour und erlebten, dass sich die letzten Teile unseres Puzzles zusammensetzten. Nach unserer Zeiteinteilung würden wir Canet, unser letztes Ziel, ganz optimal wie geplant am Montagabend erreichen. Der graue Himmel war inzwischen wieder blau geworden und wir genossen die wärmenden Infrarotstrahlen, während wir gut gelaunt unsere Honig-Smacks mit Milch auf der Wiese vor dem Zelt aßen.

   Zuerst radelten wir auf gepflasterter Straße, kamen durch Planules und erreichten Ribes de Fresco, eine quirlige Touristenstadt mit zahlreichen Wanderern, Motorradfahrern, Andorranern und einigen vereinzelten Radfahrern. Wir tranken einen Kaffee und kauften Zucker und Salz beim Lebensmittelhändler - zwei Rohstoffe, die uns leider gefehlt hätten, wenn es in Ribes - wie in so vielen anderen Städten, durch die wir gefahren sind - keine Geschäfte gegeben hätte. Aber Katalonien scheint viel reicher zu sein und profitiert viel vom Tourismus, so dass es jede Menge Waren gibt. Selbst Schilder entlang der Wege sowohl für Wanderer und Biker sind hier keine Seltenheit. Eine kleine Hilfe von einem örtlichen Jogger brachte uns auf unseren Weg, der uns zu unserem - letzten - großen Anstieg führen würde. Die Strecke war steil und felsig, so dass uns schon bald der Schweiß ausbrach. Unsere Beine waren vom letzten Tag etwas müde, aber der Geist war willig. Unterstützt von einem gleichmäßigen Rhythmus schafften wir den Anstieg von ungefähr 1.150 m nach Collette de la Gralla, das 2.060 m hoch liegt.

   Wir vertilgten unser Mittagessen hinter einer Schutzhütte, um Schutz vor der Sonne zu suchen, fanden es aber bald ziemlich kühl. Also tauschten wir Schatten gegen Sonne und saßen zwischen Haufen von Kuhmist. Von hier aus blickten wir auf die gewaltigen und riesigen Berggipfel ringsum uns herum, die unser Gebiet und unseren Weg einschlossen. Wir hatten die Schutzhütte schon lange - bevor wir sie erreichten - gesehen und uns entschlossen, hier Pause zu machen. Allerdings dauerte es viel länger dorthin zu kommen als angenommen, da wir um Berghänge radeln und einige Pässe kreuzen mussten, bis wir endlich an unserem Rastplatz ankamen. Manchmal kann es in den Bergen frustrierend sein, Entfernungen richtig einzuschätzen, wenn die Optik täuscht.

   Mein Hinterreifen hatte weiterhin ständig Luft verloren, so dass ich mich dazu entschied, den Latexschlauch gegen einen normalen Schlauch auszutauschen. Aber schon eine Viertelstunde später, als wir Richtung Tregurà de Dalt bergab fuhren, platzte mein Hinterreifen, als er zwischen zwei Felsen eingeklemmt war. Der Vorteil von Latex auf diesen Straßen war eindeutig. Nebenbei gesagt, hätten wir härtere Tubeless [schlauchlose] Reifen anstelle der leichteren Ausführung wählen sollen. Diese hätten zu mehr Gewicht, aber dafür auf lange Sicht zu weniger Problemen geführt; eine Lektion, die wir für zukünftige Touren gelernt hatten. Der Latexschlauch wurde erneut aufgezogen und ich pumpte den Reifen noch mehrere Male bis zum Tagesende auf.

   Nach Tregurà trafen wir auf Asphalt und flitzten schnell durch Vilallonga de Ter, wo wir einige kalte Getränke verschlangen, und danach durch Camprodon und San Pau de Seúguries fuhren. Meine Zuckertüte platzte, so dass sich der weiße Staub auf alle Siebensachen in meiner trockenen Tasche legte. Während ich die klebrige Schweinerei ausputzte, besprachen wir den Abschluss unseres Abenteuers. Was würden die kommenden zwei Tage wohl bringen? Wahrscheinlich hatte uns die geänderte Landschaft auf dieses Gespräch gebracht. Die Berge wurden zusehends kleiner. In Camprodon sahen wir Häuser mit gepflegten Zäunen und Gärten. Die Vertrautheit kam uns merkwürdig vor, nachdem wir diese Gegenstände seit dem Atlantik nicht mehr gesehen hatten. Wir wussten, dass die Pyrenäen so gut wie geschafft waren und unser letzter Gipfel - mickrige 1.000 m hoch - vor uns lag. Wir verließen Sant Pau und machten uns über die winzigen Anstiege auf unserem gepflasterten Weg lustig, bis wir auf einen geeigneten Zeltplatz mit fließendem Wasser stießen.

   Wir wollten die mikroskopischen Löcher in zwei Latexschläuchen reparieren. Zu diesem Zweck hielten wir sie in Wasser und zogen sie dann heraus, um winzige Blasen zu entdecken - eine Aufgabe, die viel Geduld erforderte. Davids Bremsbeläge am Hinterrad waren - wie vermutet - schrecklich dünn geworden, so dass ich eine Seite durch einen älteren, besser aussehenden Bremsbelag austauschte und David empfahl, so oft wie möglich die Vorderbremse zu nutzen und die Hinterradbremse nur im Notfall zu betätigen. Außerdem richtete ich mein Hinterrad etwas, da es ebenso wie die Ketten und Wellen einige Schläge abbekommen hatte; diese Tour war ganz klar schlecht für das Material. Als wir gerade die letzten Reparaturen beendet hatten, zog das schlechte Wetter heran und es begann zu regnen.

   David stellte rasch das Zelt auf, während ich mich um unser Hab und Gut kümmerte, so dass wir auf das Schlimmste vorbereitet waren. Wir blieben bis zum Einbruch der Dämmerung draußen und beschlossen dann, uns - schmutzig und hungrig - in das Zelt zurückzuziehen, wo wir darauf warteten, dass sich die Wolken verzogen. Nach ungefähr einer Stunde klatschten keine Regentropfen mehr gegen die Nylonwände, so dass wir nach draußen gingen, um uns schnell und sparsam zu waschen. Danach bereiteten wir unser Abendessen zu und fragten uns mit Blick auf den Himmel, wie lange uns der Regen wohl in Ruhe ließe. Unser Abendessen fiel einfacher aus; um das Kochen zu beschleunigen, benutzten wir Lebensmittelkonserven, die etwas aufgepeppt wurden. Das Ergebnis war ziemlich geschmacklos im Vergleich zu den üblicherweise zubereiteten Gourmet-Mahlzeiten. Aber es war immerhin essbar und wir konnten unsere aufgebrauchten Reserven wieder füllen.

   Inzwischen müde, aber zufrieden, dass alles so super nach Plan verlief, krochen wir in unsere Schlafsäcke in der Hoffnung auf aufgeklarten Himmel am nächsten Morgen. Unsere Körper mussten sich jetzt erholen, um für die langweiligen Anstiege und das Wiedereingewöhnen in die "echte" vor uns liegende Welt bereit zu sein.

Abendessen: Paella mit Nudeln aus der Konserve [ kein Reis, aber mit einer ganzen Muschel ], aufgemotzt mit noch mehr Nudeln, Tomaten, grünen Erbsen, einer Zwiebel und einer Möhre.


    Sonntag, 18. September - Tag Dreizehn
    95 km - 1.405 Höhenmeter

"Jede Wand ist eine Tür" - Ralph Waldo Emerson [1844]

elevation day 13

GPX-Datei Tag 13 herunterladen


   Was für ein scheußlicher Tag! Unser Wunsch nach schönem Wetter wurde mit dem genauen Gegenteil erfüllt. Während der ganzen Nacht kam es ungefähr jede halbe Stunde zu kräftigen Gewittern und Regenschauern. Ein kleiner Strom hatte sich oben gebildet und floss direkt unter unser Zelt. Es fühlte sich an, als schliefen wir auf einem Wasserbett. Das hört sich zunächst angenehm an, aber die Angst, dass das Wasser durch den Boden einsickern könnte, ließ uns ab und zu aufwachen. Der Morgen war grau, feucht und kalt. Wir frühstückten halb im und halb vor dem Zelt wie Murmeltiere, die am liebsten in ihrem Bau geblieben wären. Kein Schatten war zu sehen.

   Langsam - vielleicht ein bisschen widerwillig - machten wir uns fertig, um dem schrecklichen Wetter zu begegnen. Der Zeltabbau war die absolut letzte Angelegenheit, die wir zu erledigen hatten; für den Fall, dass wir bei starken Regenfällen darin Schutz suchen müssten. Ein letzter Blick nach oben und schon waren wir unterwegs. Wir haben an diesem Tag tatsächlich eine ziemliche Entfernung zurückgelegt, aber nur, weil uns die Suche nach Sonnenlicht vorantrieb. Man konnte wirklich kaum etwas anderes machen als Radfahren. Es war sinnlos anzuhalten; denn wir wären festgefroren, sobald unsere Muskeln sich nicht mehr bewegt hätten. So machten wir uns auf den Weg zum letzten größeren Anstieg auf unserer Tour, ca. 500-600 m hoch. Leider kann ich nicht genau sagen, wie hoch wir geradelt sind, da der Fahrradcomputer aufgrund des schlechten Wetters streikte. Das kann ich ihm nicht verübeln, frage mich aber, warum er eine Pause machen darf und ich nicht.

   Nichtsdestotrotz radelten wir weiter und erreichten den Coll de Riu in einer Höhe von ungefähr 1.000 m. Der Weg war fast nicht zu schaffen; 15% Anstieg auf nassem Boden, der aus Kieseln und Steinen bestand, auf dem die Reifen wegrutschten. Dazu noch der Frust, die bittere Kälte draußen und in der Kleidung nass geschwitzt - man kann sich vorstellen, warum unsere Laune nicht die beste und uns nicht nach Lächeln oder gar brüllendem Gelächter zumute war. In der Ferne konnten wir ein Stück aufklarenden Himmel und ein blaues Fleckchen erkennen, aber dieses spielte mit uns, denn sobald wir uns ihm genähert hatten, zog es weiter. Wir jagten eine Fata Morgana, während wir weiterhin vom Regen geärgert wurden, der gelegentlich aufhörte und dann wieder einsetzte.

   In dieser trüben Stimmung konnte ich nicht viel von der Landschaft in der Umgebung aufnehmen. Vielleicht war sie grandios, spektakulär und entzückend, aber unter den Umständen guckte ich nur geradeaus und trat in die Pedale. Auf unserer Talfahrt vom Coll de Riu wurden unsere total nassen Hände durch den Windchill gefühllos, so dass nicht einmal die Abfahrt angenehm war. Als wir im Dorf Albanyà ankamen, waren wir so durchnässt, hungrig und kalt, dass wir beschlossen, in dem einzigen Restaurant dort zu essen. Es gab Salat, Schweinebacken und Pommes Frites, während wir uns ein wenig ausruhten, aufwärmten und trockneten. Müdigkeit machte sich breit und wir wären hier gern noch stundenlang geblieben und hätten vielleicht ein Nickerchen direkt auf dem Tisch gehalten, aber wir entschlossen uns, uns wieder aufzuraffen, bevor die Augenlider herunterfielen und Bewegungen schwierig würden

   Je mehr wir gegen dieses Wetter ankämpften, umso größer war die Chance, Sonnenschein zu finden und unserem Ziel näherzukommen, das uns so nah wie nie zuvor erschien, sobald wir La Jonquera passiert hatten. Ich kannte diese Stadt. Es ist ein hässlicher Ort mit einer Anhäufung von Gebäuden, Supermärkten und billigen Hotels. Die gesamte nähere Umgebung verläuft an einer Seite entlang einer wichtigen Hauptstraße. Hier überqueren die Franzosen die Grenze, um sich zum Großeinkauf von billigem Alkohol, Olivenöl und Zigaretten verleiten zu lassen. Ich bin dort auch mehrmals gewesen, verschmähe aber mittlerweile solche Orte, wo ein übertriebener Materialismus Schnäppchenjäger anzieht, die sich überhaupt nicht für die Umgebung, Sprache oder Kultur interessieren. An diesem Ort kann man Franzosen, aber keine Spanier treffen und sich über die bedeutungslose Wichtigtuerei der oberen Mittelklasse ärgern. Aber es war für uns ein Hinweis, dass wir uns erheblich näherten. Wir hätten die Landstraße nehmen und direkt Richtung Perpignan fahren können, hätten aber dann unser Wort gebrochen, die verbleibenden Hügel der Pyrenäen an der Küste zu absolvieren. Alles andere hätten wir als Schummelei betrachtet und wir hätten keine Vorteile oder Lorbeeren angenommen, die diese Reise uns zum Schluss geboten hätte. Jeder letzte Pass würde abgefahren, so winzig er auch sein mochte.

   Am Abend tauschten wir den Regen gegen einen anderen Liebling der Natur ein: den Wind. Kräftige Böen wehten von der Küste bis zu den Gebirgsausläufern. Es war spät und wir entschieden, nicht nach einer geeigneten Wasserquelle suchen zu müssen, da wir den ganzen Tag über gewaschen worden waren. Auch Kleidung brauchte nicht mehr gewaschen zu werden, da wir die letzten Sachen am nächsten Tag tragen würden. Wir schlugen das Zelt in einem Feld zwischen Weinstöcken auf und sahen kurz danach, wie es sich löste und wegflog. David verstärkte unsere Unterkunft mit Steinen und benutzte jeden Hering zur Stabilisierung, denn das Zelt tanzte bei jedem Windstoß. Wir bereiteten unser Abendessen, saßen sehr nahe am Kocher, um ihn vor dem Wind zu schützen, als ein neugieriger Frosch herumhüpfte. Er blieb stehen, um uns zu beobachten und näherte sich manchmal den Flammen gefährlich nah. Ich dachte "heute Abend gibt's Froschschenkel", wählte dann aber doch etwas Leckereres und Sättigenderes.

   Während ich in unserer Nylonbehausung lag und schrieb, peitschte der Wind gegen unsere Zeltwände. Es fühlte sich an, als würde das ganze Zelt jeden Moment zerrissen. Ich konnte hören, wie er uns - wie der Wolf - beharrlich neckte: "Ich mache viel Wind und blase Dein Haus nieder!". Es war schwierig, bei dieser Unruhe einzuschlafen; aber die Erkenntnis, am Ende des Tages noch ein paar Sonnenstrahlen abbekommen zu haben, zusammen mit der Gewissheit, dass unser Projekt und unser Ziel zum Greifen nahe waren, dominierten und beruhigten uns. Die Zweifel ließen nach. Diese letzten zwei Tage fühlten sich wie die letzte große Prüfung an, bevor man in eine höhere Stufe aufsteigt.

Abendessen: Broccoli, grüne Paprika, Tomaten mit Thunfisch und Pasta in einer Tomaten-Sahnesauce, 2 verschiedene Käsesorten


    Montag, 19. September - Tag Vierzehn
    106 km - 1.704 Höhenmeter

"Mit der Hoffnung zu reisen ist besser, als das Ziel zu erreichen und der wahre Erfolg ist sich zu mühen." - Robert Louis Stevenson [1881]

elevation day 14

GPX-Datei Tag 14 herunterladen


   Die Frage stellt sich: "Habt Ihr es geschafft?" Die Antwort ist wahrscheinlich leichter zu finden als alles andere. Wäre es misslungen, hätte ich nicht darüber geschrieben. Ja, wir haben es geschafft!

   Mit großer Erleichterung und einem gewaltigen Glücksgefühl fuhren wir nach oben zur Tür unseres Appartementhauses in Canet-en-Roussillon; noch einmal halten, noch einmal in die Pedale treten und um ungefähr 18:20h hatte unsere Tour ihr geplantes Ziel erreicht. Wir jubelten, klatschten ab, umarmten uns, lachten und seufzten dann.

   An diesem Morgen hatte der Wind nicht nachgelassen und weiterhin kräftig geweht, als wir - zum letzten Mal - unsere Sachen packten und unsere Metallesel Richtung Llança bestiegen, wo wir auf das Mittelmeer trafen. Verglichen mit den Bergen, die wir inmitten der Pyrenäen hochgefahren waren, waren die Pässe hier eher Dreckaufschüttungen. Zur Mittagszeit kamen wir in Llança an und aßen an einem kleinen Kieselstrand, während wir auf die zahlreichen blau gekräuselten Wellen vor uns blickten. Bedächtig tauchten wir unsere Füße in das Meereswasser, wie wir es in den letzten zwei Wochen auch im Atlantik getan hatten. Nun brauchten wir nur noch über die Grenze und dann entlang der französischen Küste zu fahren, um nach Canet-en-Roussillon zu kommen.

   Die Küstenzone zwischen Spanien und Frankreich ist nicht eben, aber die Anstiege sind machbar und die Straßen gepflastert. Die Schwierigkeit beim Hochfahren bestand im Tramontane, einem kräftigen Wind, der durch das französische Zentralmassiv und die ganze Region von Languedoc einschließlich der Mittelmeerküste weht. Man kann ganz überraschend von den gewaltigen Böen ergriffen werden. Da es sich anfühlt, als würde man von den Windstößen geschlagen und misshandelt, ist der Tramontane bekannt dafür, Leute verrückt zu machen. Wir radelten vor uns hin, in eigenen Gedanken versunken, als uns plötzlich eine Böe direkt ins Gesicht schlug, so dass unsere Räder stehenblieben oder sogar etwas zurückfuhren. Sekunden später, wenn sich der Wind gelegt hat, fühlt man sich betäubt und erschlagen. Jeder, der das erlebt hat, weiß, was ich mit dem Ausspruch "Der Wind hat uns k.o. geschlagen" ausdrücken möchte.

   Wir kämpften uns weiter voran, überstanden zahlreiche Böen und durchfuhren die Küstenstädte Portbou, Cerberes [die erste Stadt in Frankreich], Banyuls und Collioure. Diese letzte Stadt ist eine meiner Lieblingsstädte. Wir pausierten hier ein Weilchen, um Kaffee und Fanta zu trinken und schlenderten durch die Einkaufsstraßen, in denen verschiedene Artisten ihre Kunststücke zeigten. Collioure ist wirklich malerisch mit seinem steinernen Kirchturm, der aus den engen Straßen voller Cafes und Kunstgewerbehändlern sowie den kleinen, im Sommer stets überfüllten Kieselstränden herausragt. Die Touristen hier sind ganz anders. Die meisten haben sich in den Ort verliebt und kommen regelmäßig wieder, nicht nur, um die Sardellen und Banyuls-Wein zu kosten, sondern weil Collioure genau so aussieht, wie man sich eine Küstenstadt in Südfrankreich vorstellt. Die lockere Mentalität der Südfranzosen passt genau zur Landschaft, so dass Touristen vielleicht der Meinung sind: "Genau so sollte das Leben sein."

   Zurück auf unseren Rädern, wurde das Gelände immer ebener, als wir Argelès und St. Cyprien hinter uns ließen und in Canet-en-Roussillon ankamen, einem zweckmäßig gebauten Küstenort, in dem verschiedene schlecht gebaute Betongebäude, Kasinos, Diskotheken und eine Urlauberpromenade zu finden sind. Die Umgebung ist noch sehr nett und unser Quartier im 5. Stock bietet einen Blick über den Hafen, wo saubere extravagante Segel- und Motorboote vor sich hin dümpeln. Einige von ihnen werden während des ganzen Jahres nicht bewegt, aber andauernd von ihren Eigentümern gehegt und gepflegt.

   Wir waren damit beschäftigt, unsere Siebensachen und Fahrräder nach oben in unsere 1-Zimmer-Ferienwohnung zu schaffen und schauten uns in der ungewohnten Umgebung um: Betten, Toiletten, Dusche, Herd, vier Wände, Tür und ein Spiegel. Was für ein Vergnügen, sein eigenes Spiegelbild zu sehen; wie sehr hatte sich dieses doch verändert! Die wilde Frisur, der zottelige Bart und die gebräunte Haut versetzten uns einen kleinen Schock. Sofort begann ich, mich zu bearbeiten, kürzte meinen Bart und duschte; wohlgemerkt: eine Warmwasserdusche.

   David schaltet sein Handy ein, ich gehe nach unten, um nach den Öffnungszeiten des Internet-Cafes zu sehen; ganz unbemerkt schleicht sich die Realität wieder in unsere Leben. Es würde nicht sehr lange dauern, bis wir wieder in den Alltag zurückgekehrt sind und einige entwickelte Instinkte vergessen haben. Schon bald werden wir den GPS-Navigator einsetzen, um Wege zu finden, mit dem Aufzug fahren statt die Treppe zu nehmen und holterdiepolter von den täglichen Pflichten überrollt werden. Aber für's erste ist Zeit zum Entspannen, um den Strand, die Sonne und heute Abend ein katalonisches Abendessen zu genießen. Wir müssen uns von den Pyrenäen verabschieden. Sicherlich wird es einige Zeit dauern, bis wir - wenn überhaupt jemals - das Ausmaß unserer Unternehmung realisieren. In gewisser Hinsicht ist es sehr schade, dass wir nicht für immer in den Bergen bleiben konnten, aber wir haben die uns gestellte Aufgabe erledigt und zumindest unserer Meinung nach und für uns selbst etwas Großartiges geleistet. Wir haben etwas gemacht, dass sich nicht viele trauen würden und - das Beste von allem - wir haben es gepackt.

Genau wie die Pyrenäen zwei Länder teilen, bin auch ich zweigeteilt. Es gibt den Tour-Jeremy und den Alltags-Jeremy. Ich frage mich, wer wer ist, falls ich mit offenen Augen träume, während ich die unbezahlten Rechnungen, die sich auf meinem Schreibtisch häufen, begleiche und mich frage, wohin mich meine Beine als nächstes tragen werden. Während ich die Ruhe in den Bergen genießen kann, wird die Ruhe im Alltag als Langeweile abgetan. Werde ich gefragt "Was kommt als nächstes?" weiß ich, dass sie wissen möchten, welche Tour ich schon in meinem Hinterkopf geplant habe. Im Augenblick gibt es keine Pläne, aber ich garantiere, dass ich schon bald "on the road again" sein werde.

Abendessen: heute Abend im Restaurant! Calamar a la planxa; gebratene Tintenfische auf einer Metallplatte mit Knoblauch und Kräutern.